Offener Brief an die Bundesumweltministerin

14. August 2023

„Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

„nach dem Fischsterben in der Oder vom August 2022 und noch vor einer möglichen Wiederholung der Katastro­phe haben Sie das IGB Berlin mit einem anlassbezogenen „Sonderuntersuchungsprogramm zur Umweltkatastro­phe in der Oder vom August 2022 (ODER~SO)“ ausgestattet. Aufgabe soll die „Dokumentation der Schäden und der Regeneration der Wasserorganismen sowie Vorsorgeforschung in Bezug auf mögliche weitere Toxinwellen und zu Resilienz, Ökosystemfunktionen, Ökosystemleistungen und Entwicklungsszenarien der Oder und ihrer Au­en“ sein.

„Die Ergebnisse dieses Vorhabens könnten geeignet sein, Ihre Argumentation gegenüber anderen Anrainerstaa­ten der Oder und in der „Internationalen Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung“ zu stärken.

„Ich möchte anregen, den Sonderforschungsbereich ODER~SO auf die Flussgebietseinheit Weser auszudehnen. Dort liegen ähnliche Verhältnisse vor wie in der Oder, mit dem Unterschied, dass die katastrophalen Fischster­ben bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufgetreten sind.

U. Braukmann, (Universität Kassel, Fachbereich Gewässerökologie/Gewässerentwicklung). Dirk Böhme, (BWWU Büro für Wasserwirtschaft und Umwelt Leipzig), „Salt pollution of the middle and lower sections of the river Werra (Germany) and its impact on benthic macroinvertebrates“, Limnologica 41 (2011) 113-124

„Seitdem ist die Süßwasser-Biozönose im salzbelasteten Teil der Werra vernichtet. Beherrschendes Lebewesen ist dort der halophile Getigerte Flohkrebs; der Fischbestand ist demgegenüber dezimiert und in seiner Zusammensetzung untypisch (z.B. LAVES, 2021).

„Das Ökosystem der Weser ist durch die fortwährende Salzbelastung und die vermehrt auftretenden Niedrigwas­serereignisse besonderem Stress ausgesetzt. Das „Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Le­bensmittelsicherheit (LAVES)“ berichtet in seinen jährlichen Fischbestandserfassungen, dass 4-5 % der Fische schon schwere, äußerlich sichtbare Schäden zeigen.

„Damit sind in der Flussgebietsgemeinschaft Weser alle Voraussetzungen für ein Fischsterben wie in der Oder gegeben.

„Die Flüsse Werra und Weser sind aber auch wegen weiterer Aspekte interessante Vergleichsobjekte zur Untersu­chung der Oder. Die Flüsse reagieren unterschiedlich schnell auf Wärmephasen und der nicht salzbelastete Abschnitt der Werra ist ein zusätzliches Vergleichsobjekt:

  • Eine Massenentwicklung der Goldalge Prymnesium parvum ist bis jetzt nicht aufgetreten. Im Vergleich zur Oder war die Wasser­temperatur der Werra im Juli 2023 um zwei Grad C niedriger und um vier Grad C nied­riger als zu Beginn des Fischsterbens 2022.
  • Der abrupte Qualitätsabfall der Werra (um zwei Stufen in Sinne der Wasserrahmenrichtlinie zur Stufe 5=schlecht) beginnt ortsscharf mit dem Auftreten der Salzbelastung. Der unbelastete Oberlauf des Flusses bietet sich somit für weitere Vergleichsuntersuchungen an.

„Vorsorge- und Sanierungsmaßnahmen schließlich sind im gesamten Bereich der Flussgebietseinheit Weser problemlos möglich, weil sie sich in Gänze in der Bundesrepublik befindet. Damit könnte man auch dem Vorwand begeg­nen, dass z.B. von den polnischen Behörden Maßnahmen verlangt werden, zu denen die Bundesrepublik Deutschland nicht bereit ist.

Mit freundlichen Grüßen, Dr. Walter Hölzel, Vorsitzender der Werra-Weser-Anrainerkonferenz e. V.“

Anmerkungen zur aktuellen Entwicklung

Die seit Mitte August gesunkenen Temperaturen haben die Gefahr von Fischsterben in Oder, Werra und Weser aktuell vermindert. Trotzdem haben sich die K+S AG als Verursacherin der Werra-Weser-Versalzung und der „Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ (BUND) verspätet noch zu dem Thema geäußert.

Die Sprecher der K+S AG weisen jede Verantwortung des Unternehmens zurück und betonen, dass man sich bei der Verklappung ihrer Abwässer in die Werra an die genehmigten Grenzwerte halte.

https://www.hna.de/lokales/hann-muenden/hann-muenden-ort60343/ruf-nach-weser-notfallplan-92486366.html

Genau das ist aber die Ursache für die ökologische Katastrophe in den Flüssen und die einzige nicht-natürliche Voraussetzung für ein Fischsterben auch in der Weser: Die Entsorgungspraxis des Kaliherstellers K+S.

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei IGB, „Die Zukunft der Oder – Forschungsbasierte Handlungsempfehlungen nach der menschengemachten Umweltkatastrophe, September 2022

Ein „Notfall“ ist täglich gegeben und der „Plan“ liegt seit 2014 auf dem Tisch

Der BUND schließlich fordert eine „Taskforce Fischsterben“ und einen Notfallplan „Fischsterben“.

Das halten wir für überflüssig. Ein „Notstand“ ist wegen der Versalzung der Flüsse und der Vernichtung der Süßwasser-Lebensgemeinschaft in der Werra ohnehin täglich gegeben.“Pläne“ liegen ebenfalls vor, sowohl die schon erwähnten Handlungsempfehlungen des IGB als auch der „Dreistufenplan“, den die WWA 2014 veröffentlich und 2023 aktualisiert hat:

W. Hölzel/WWA, „Flüsse und Rohstoffe schonen, Arbeitsplätze im Kalirevier sichern und die Region entwickeln – Dreistufenplan zur Umsetzung der Richtlinie 2000/60/EG in der Flussgebietseinheit Weser, 22.03.2023

Im „Dreistufenplan“der WWA geht es darum, mit welchen Maßnahmen man eine abstoßfreie Kaliproduktion erreichen und Fischsterben sicher verhindern kann.

„Taskforce Fischsterben“ – Den Bock zum Gärtner machen?

Die „Taskforce Fischsterben“ soll nach Ansicht des BUND in der „Flussgebietsgemeinschaft Weser (FGG Weser)“ angesiedelt werden. Das ist aber diejenige Organisation, deren Bewirtschaftungspläne das Erreichen der Qualitätsziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie in Werra und Weser ausschließen. Man geht dort – fachwidrig – davon aus, dass die Werra als „natürlicher Salzwasserfluss“ ohnehin nicht saniert werden kann und dass deshalb die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht erreicht werden müssen. Tatsächlich ist die Werra kein natürlicher Salzwasserfluss und ihre schlechte ökologische und chemische Qualität kann ausschließlich auf die Einleitung von Salzabwässern durch die Kali-Industrie zurückgeführt werden.

G. Hübner, „Ökologisch-faunistische Fließgewässerbewertung am Beispiel der salzbelasteten unteren Werra und ausgewählter Zuflüsse“, Ökologie und Umweltsicherung 27/2007, Ss. 24 ff.

W. Hölzel/WWA, „Ziel des Bewirtschaftungsplans 2022-2027 für die Flussgebietseinheit Weser ist die Aufhebung des Gewässerschutzes – Werra und Weser als „Opfergebiete außerhalb des Schutzregimes der Wasserrahmenrichtlinie“, 21.03.2023, S. 13 f., https://bit.ly/3qyRYnP

Fischsterben nicht verwalten, sondern verhindern

Der BUND beschreibt sogar umständlich, mit welchen Aufgaben sich die „Taskforce Fischsterben“ beschäftigen soll. Ursachenbekämpfung gehört ausgerechnet nicht dazu, wohl Verwaltungsaufgaben wie die Beseitigung der verendeten Fische.

Tatsächlich können Fischsterben wie in der Oder wirkungsvoll verhindert werden. Dazu muss deren wesentliche und nicht natürliche Voraussetzung beseitigt werden: Die Versalzung der Flüsse durch Bergwerksabwässer. Die technischen Voraussetzungen dazu sind vorhanden:

W. Hölzel/WWA, 21.03.2023, a.a.O., Ss. 17-21, https://bit.ly/3qyRYnP

Die Bewältigung dieser Aufgabe ist von der FGG Weser nicht zu erwarten – ebensowenig vom BUND, der die Herabstufung der Werra zu einem „unsanierbaren Gewässer“ bisher noch nicht einmal kritisiert hat.


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