Fischereigenossenschaften an der Weser befürchten ein Fischsterben wegen der Versalzung des Flusses durch die Abwässer des Bergbaukonzerns K+S – so, wie es auch in der Oder wieder zu erwarten ist. Der Konzern K+S hält dagegen – auch diesmal mit Falschinformationen.
HNA 19.07.2023, „Warnung vor Fischsterben in der Werra: Fischereigenossenschaft Münden kritisiert K+S“, https://www.hna.de/lokales/hann-muenden/hann-muenden-ort60343/warnung-vor-fischsterben-in-der-werra-fischereigenossenschaft-muenden-kritisiert-92409416.html
TAZ 21.07.2023, „Industrieabwässer in Flüssen: Sorge um Fische in Werra und Weser – Fischer an Oberweser und an Werra schlagen Alarm. Sie befürchten eine Ökokatastrophe wie im vergangenen Jahr an der Oder. Der Grund: Salzeinleitungen.“, https://taz.de/Industrieabwaesser-in-Fluessen/!5948784/
Salzcocktail + Klimawandel + Behördenversagen = Umweltkatastrophe
Salzhaltige Bergwerksabwässer hatten die Süßwasser-Biozönose der Oder so weit geschwächt, dass deren Ökosystem weiterem Stress nicht mehr gewachsen war. Eine klimabedingte Erhöhung der Wassertemperatur im Fluss reichte dann aus, um 2022 die Umweltkatastrophe zu vollenden. Sie führte zu einer Massenentwicklung der giftigen Blaualge Prymnesium parvum. Das kann sich in diesem Jahr wiederholen, denn die Ursachen sind nicht beseitigt worden und die Wassertemperatur der Oder liegt jetzt nur noch zwei Grad niedriger als im August 2022 vor dem Fischsterben.
Die eigentlichen Ursache des Fischsterbens war aber Behördenversagen. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie 2000/EG/60 (WRRL) bietet nämlich den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Gewässer zu sanieren. Damit hätte die Katastrophe verhindert werden können. Seit Inkrafttreten der WRRL im Jahre 2000 haben weder die Verursacher noch die polnischen Behörden die notwendigen Schritte unternommen, um den Abstoß von Salzabfällen in die Oder überflüssig zu machen. Die organisatorisch zuständige „Flussgebietsgemeinschaft Oder“, an der auch Deutschland beteiligt ist, muss diesen Umstand gegenüber der Europäischen Kommission vertuscht haben, denn sonst hätte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen und Deutschland einleiten müssen.
Die Chancen der Richtlinie haben weder Polen noch Deutschland genutzt. Die Staaten haben nämlich gleichermaßen das Interesse, die Oder zu vertiefen und auszubauen. Diese Pläne verstoßen ebenfalls gegen die Richtlinie 2000/EG/60. Die Vernichtung des Ökosystems wird von beiden Staaten billigend in Kauf genommen. Das Problem: Es ist rechtswidrig.
Die Zeit, 03.07.2023, „Weil der Mensch die Oder mit salzigen Abwässern verdreckte, wurde eine winzige Alge zur tödlichen Massenplage. Wer sich ihr nähert, entdeckt ein unschuldiges Wesen.“, https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2023-06/fischsterben-goldalge-gift-oder-polen
Süddeutsche Zeitung 14.07.2023, „Schifffahrt – Warschau: Polens Parlament verabschiedet Gesetz zum Ausbau der Oder“, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/schifffahrt-warschau-polens-parlament-verabschiedet-gesetz-zum-ausbau-der-oder-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230714-99-406334
Werra und Weser: Die Verursacherin wirft Nebelkerzen, kann aber nicht überzeugen
Die beschriebenen Vorgänge können sich auch in der Flussgebietseinheit Weser wiederholen, denn es sind alle nötigen „Zutaten“ vorhanden: gestresste Ökosysteme durch extrem salzhaltiges und zu warmes Flusswasser, eine rücksichtslose Verursacherin und Behörden, welche die Nicht-Umsetzung der Richtlinie 2000/EG/60 in der Flussgebietseinheit Weser gegenüber der EU-Kommission vertuschen.
„Blaualgen gehören natürlicherweise in unsere Gewässer. (…) In wärmeren Gewässern sind sie sehr konkurrenzstark.“ (Prof. Dr. Ulf Karsten, Uni Rostock, zit. nach RND 27.03.2023). Eine massenhafte Ausbreitung der giftigen Blaualge auch in Werra und Weser lässt sich nur durch Verminderung des Salzeintrags und der in den K+S-Abwässern enthaltenen Kalisalze verhindern. Die Möglichkeiten sind vorhanden, werden aber nicht genutzt.
W. Hölzel/WWA, „Ziel des Bewirtschaftungsplans 2022-2027 für die Flussgebietsgemeinschaft Weser ist die Aufhebung des Gewässerschutzes – Werra und Weser als ‚Opfergebiete außerhalb des Schutzregimes der Wasserrahmenrichtlinie‘ “, 21.03.2023, https://bit.ly/3qyRYnP
Die Pressesprecher des Verursacherkonzerns K+S versuchen abzuwiegeln. Ein Fischsterben sei nicht zu erwarten, weil das Unternehmen die Grenzwerte für ihre Abfallsalze auch bei Niedrigwasser einhalte.
Das Gegenteil ist richtig, es sind gerade die extrem hohen Grenzwerte für ihre Abfallsalze, die eine Einstufung der Werra in die schlechteste Qualitätsstufe der Richtlinie 2000/EG/60 erzwingen und die eine der Voraussetzung für ein Fischsterben wie in der Oder darstellen. Sie liegen um mehr als das Dreissigfache über den Werten, die bei Umsetzung der Richtlinie erreicht werden müssen.
Außerdem, so die Pressesprecher, „sei in den vergangenen Jahrzehnten in der Werra eine extreme Algenblüte mit Bildung von Algengiften selbst in trockenen Sommern, bei hohen Temperaturen, Niedrigwasser und hoher Sonneneinstrahlung nie beobachtet worden.“
Auch diese Einlassung ist wenig überzeugend oder gar beruhigend. Auch in der Oder hat man solche Erscheinungen nicht beobachtet, bis sie dann trotzdem aufgetreten sind und zu einem katastrophalen Fischsterben geführt haben.
„Extreme Algenblüten“ beobachten wir vielmehr regelmäßig in der Werra. Auch in diesem Sommer haben wir wieder eine Massenentwicklung der Salzwasseralge Enteromorpha intestinalis (siehe Beitragsbild). Die Alge fühlt sich im salzigen Flusswasser wohl und ihre Massenentwicklung wird durch den hohen Kaliumgehalt der K+S-Abwässer verursacht.

Kalium ist eigentlich der wichtigste Wertstoff, wegen dem der Kalibergbau an der Werra betrieben wird. Die Aufbereitungsverfahren des Unternehmens sind aber so ineffektiv, dass ein erheblicher Teil davon auch in die Abwässer und damit in das Grundwasser und in die Flüsse gelangt. Nach Expertise des Salz- und Bergwerksspezialisten K-UTEC AG in Sondershausen gelangen jährlich 1,1 Mio. Tonnen Wertstoffe in die K+S-Abwässer, davon 500.000 Tonnen Kaliumsulfat. Als Düngemittel in der Landwirtschaft eingesetzt, soll Kalium für höhere Erträge sorgen. Als Bestandteil der K+S-Abwässer lässt er die Versalzung des Flussgebiets von Werra und Weser sichtbar werden.
Die K-UTEC AG hat dem Kalihersteller K+S 2014 vorgerechnet, dass mit seinen Abwässern jährlich mehr als 1,1 Mio. Tonnen Wertstoffe vernichtet werden, die (auf Basis der Rohstoffkosten von 2014) einen Wert von mehr als 250 Mio. Euro darstellen. Das muss man sich leisten können. Man benötigt aber auch Helfershelfer, nämlich Behörden, welche nicht nur die Versalzung der Flüsse genehmigen, sondern auch nichts gegen die Vergeudung von Rohstoffen und Energie durch rückständige Aufbereitungsverfahren unternehmen.
Marx et al., K-UTEC AG, „Überlegungen zur Aufbereitung der Abstoßlösungen des Werkes Werra“, Runder Tisch 21.01.2014, https://bit.ly/3CRGdtX
Das Verursacherunternehmen K+S täuscht die Öffentlichkeit wieder einmal mit halben und ganzen Fehlinformationen. Nichts anderes sind wir gewohnt. Es zeigt aber auch, dass das Unternehmen nicht daran interessiert ist, weitere Katastrophen zu verhindern. Das Unternehmen kann seine Produktionsabwässer nicht mehr in die Werra leiten, weil die dort gültigen Grenzwerte schon von den Haldenlaugen ausgeschöpft werden. Sie werden auf anderen Wegen beseitigt, z.B. in aufgelassenen Bergwerken in Niedersachsen. Wenn nun auch die Produktionsabwässer nicht mehr in die Werra gelangen, dann könnten Fischsterben vermieden und sogar die Qualitätsziele der Wasserrahmenrichtlinie erreicht werden.
Das ist technisch möglich, wird aber von der Verursacherin verweigert und von der hessischen Umweltministerin Priska HInz (B’90/Die Grünen) nicht eingefordert.
Die Fischer haben recht: Die Weser kann noch ruiniert werden
In besonders zynischer Weise ist immerhin eine der Aussagen der K+S-Pressesprecher nicht völlig falsch: In der Werra ist tatsächlich kein Fischsterben mehr zu erwarten. Seit den großen Fischsterben der fünfziger Jahre ist dort nämlich die Süßwasser-Lebensgemeinschaft vernichtet. Im salzbelasteten Teil des Flusses leben fast nur noch der Salzwasserkrebs Gammarus tigrinus und wenige Fischarten, die so salztolerant sind, dass sie auch in der Ostsee vorkommen. Ein Fischsterben wie in der Oder ist im salzbelasteten Teil der Werra schon mangels Masse nicht mehr möglich.
In der weniger salzbelasteten Weser ist das anders. Dort ist die Süßwasser-Biozönose nicht vernichtet, aber doch so gestresst, dass weitere Belastungen zu einer Umweltkatastrophe führen können. Die Wassertemperatur der Weser liegt aktuell nur zwei Grad unter derjenigen der Oder. Damit sind auch dort fast alle Voraussetzungen für ein Fischsterben gegeben.