Deutsches Sommertheater

Im August 2022 gab es in der Oder ein massives Fischsterben. Die Medienreaktion war enorm. Nun, ein Jahr später, stehen wir vor der Wiederholung dieser Katastrophe. Alle notwendigen Bedingungen sind gegeben, es fehlt lediglich eine geringfügige Erhöhung der Flusswassertemperatur. Haben wir nichts gewollt, nichts gelernt, nichts erreicht? Mitten in dieser Situation steht die Bundesumweltministerin Steffi Lemke (B’90/Die Grünen).

https://www.zeit.de/suche/index?q=oder+fischsterben

https://www.sueddeutsche.de/news?search=oder+fischsterben

W. Hölzel/WWA, Presseecho Oder 2022, 20.03.2023

W. Hölzel/WWA, Presseecho Oder 2023, aktuell

Dagny Lüdemann, „Fischsterben durch Goldalgen: Einzeln harmlos, als Schwarm gefährlich.“, Die Zeit, 03.07.2023, https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2023-06/fischsterben-goldalge-gift-oder-polen

Die Schuldigen wurden schnell identifiziert und benannt: Polnische Bergbauunternehmen leiten salzhaltige Abwässer in die Oder, der hohe Salzgehalt und die sommerlichen Temperaturen des Flusswassers fördern das Massenwachstum einer Alge, die normalerweise nur im Brackwasser vorkommt. Diese Alge produziert ein Gift und bei einer Massenvermehrung ist dann genug Gift im Flusswasser, um neben den Fischen auch andere Vertreter der Süßwasser-Biozönose zu gefährden.

Wer ist denn hier nicht kooperativ?

Auch der polnischen Regierung und den zuständigen Behörden wurde in deutschen Medien Schuld zugewiesen. Es herrscht ein „vergiftetes Verhältnis“, der deutsch-polnische Dialog über die Oder ist „ohne spürbare Annäherung“. Insgesamt: Polen muss „weniger salzhaltige Abwässer in die Oder leiten“.

Tatsächlich ist jedoch ein Fischsterben in der Oder ohne deutsche Zustimmung nicht denkbar. Die seit dem Jahr 2000 geltende europäische Wasserrahmenrichtlinie fordert nämlich die gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Flussanrainer, auch über Staatsgrenzen hinweg. Die Anrainer sollen gemeinsam sicherstellen, dass die Gewässer der Mitgliedsstaaten bis spätestens 2027 einen „guten ökologischen und chemischen Zustand“ erreichen. Dies dient auch dem Schutz des Trinkwassers.

Die jeweiligen Flussgebietsgemeinschaften (z.B. FGG Weser oder FGG Oder) müssen der EU-Kommission Bewirtschaftungspläne vorlegen, in denen nachvollziehbar dargelegt wird, wie die Qualitätsziele der Richtlinie termingerecht und zielorientiert umgesetzt werden sollen. Die Bewirtschaftungspläne werden von allen Anrainerstaaten gemeinsam verantwortet, in der FGG Oder sind also auch Deutsche vertreten. Jeder Anrainerstaat kann die Zustimmung zu einem Bewirtschaftungsplan verweigern: In diesem Fall würde die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Verursacherstaat einleiten. So ist es am Beispiel der Versalzung von Werra und Weser auch in Deutschland geschehen.

Mit anderen Worten: Der aktuell gültige Bewirtschaftungsplan für die Oder billigt offensichtlich Schadstoffeinleitungen in den Fluss, die zu massenhaftem Fischsterben führen. Das widerspricht den Zielen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie; aber ohne die Zustimmung der deutschen Mitglieder der Flussgebietsgemeinschaft Oder hätte dieser Bewirtschaftungsplan nicht der EU-Kommission vorgelegt werden können. Darüber hinaus müssen die deutschen Vertreter in der FGG Oder damit einverstanden gewesen sein, die Mängel des Bewirtschaftungsplans gegenüber der EU-Kommission zu verschleiern.

Deutschland und Polen haben ein gemeinsames Interesse daran, den Gewässerschutz zu verhindern.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Bundesumweltministerium nicht selbst an den Beratungen der FGG Oder teilgenommen hat. Deutsche Interessen werden in solchen Gremien in der Regel vom Bundeswirtschaftsministerium vertreten. In diesem Fall dürfte auch das Verkehrsministerium beteiligt gewesen sein, da Deutschland und Polen gemeinsam den Ausbau und die Vertiefung der Oder vorantreiben. Diese Pläne können ohne Missachtung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie nicht realisiert werden. Wir können jedoch sicher sein, dass die Bundesumweltministerin darüber informiert ist.

Die Bundesrepublik hat jedoch weitere Gründe, Nachbarstaaten nicht zur Einhaltung europäischer Richtlinien zu drängen. Die Bundesregierung sollte sich ihrer Position im Glashaus sehr wohl bewusst sein.

Die Flussgebietsgemeinschaft Weser ist das einzige Flusssystem, das sich vollständig auf deutschem Territorium befindet. Aufgrund der Versalzung der Flüsse Werra und Weser durch Abwässer der Kali-Industrie kam es in den 1950er Jahren zu mehreren katastrophalen Fischsterben. Seitdem wurde die Süßwasser-Biozönose im salzbelasteten Teil der Werra zerstört. Fischsterben wie kürzlich in der Oder kann hier nicht mehr stattfinden.

Da die Verursacherin sich weigert, in eine emissionsfreie Produktion zu investieren, wurden die Werra und das Grundwasser im Werra-Fulda-Revier in die schlechteste Qualitätstufe der Richtlinie 2000/60/EG eingestuft. Dies soll auch so bleiben. Die hessische Umweltministerin Priska Hinz (B’90/Die Grünen) hat zusammen mit der Verursacherin der Flussgebietsversalzung den Plan (Vierphasenplan, 2014) entwickelt, die Werra als „natürlichen Salzwasserfluss“ zu einem „nicht sanierbaren Gewässer“ herabzustufen. Dies ist fachlich unsinnig, da die Werra nie ein Salzwasserfluss war:

Trotzdem soll durch die Herabstufung der Werra und die Verzögerung der Maßnahmenpläne erreicht werden, den Fluss aus dem Schutz der Wasserrahmenrichtlinie zu nehmen. Davon profitiert ausschließlich die K+S AG als Verursacherin der Flussgebietsversalzung.

W. Hölzel/WWA, „Ziel des Bewirtschaftungsplans 2022-2027 für die Flussgebietsgemeinschaft Weser ist die Aufhebung des Gewässerschutzes“, 21.03.2023, https://bit.ly/3qyRYnP

Die Versalzung der Flüsse ist unnötig

Weder der Kalibergbau in Hessen noch der Kohlebergbau in Polen sind darauf angewiesen, salzhaltige Abwässer in die Umwelt abzuleiten. Im Falle der Werra konnte bereits 2014 nachgewiesen werden, dass eine emissionsfreie Kaliproduktion möglich ist. Unabhängige Gutachter und das Umweltbundesamt haben dies in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht sowie in Bezug auf die Energieeffizienz bestätigt.

Der Ausbau der Oder muss aufgegeben werden, die Werra darf nicht länger die Abwasserrinne der Kali-Industrie bleiben

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB, Berlin) hatte bereits im August 2022 die Ursache für das Fischsterben in der Oder geklärt. Im September desselben Jahres hat das Institut den Behörden in Deutschland und Polen Vorschläge für ein Gewässermanagement vorgelegt, mit denen zukünftige Fischsterben verhindert werden können. Schneller kann die Wissenschaft nicht arbeiten:

IGB, Berlin, Policy-Brief: Die Zukunft der Oder – Forschungsbasierte Handlungsempfehlungen nach der menschengemachten Umweltkatastrophe, https://www.igb-berlin.de/sites/default/files/media-files/download-files/IGB%20Policy%20Brief%20-%20Die%20Zukunft%20der%20Oder_web.pdf

Hier die Vorschläge in Kurzform:

  • Beendigung flussbaulicher Maßnahmen zur Vertiefung oder zum Aufstau der Oder
  • Reduzierung von Emissionen: Grenzwerte stofflicher Belastungen deutlich senken, Kühlwassernutzung einschränken
  • Renaturierung des Hauptlaufs und Wiedervernetzung mit Nebengewässern
  • Kein Besatz mit gebietsfremden Tieren
  • Stärkung eines international harmonisierten Gewässermanagements
  • Ausweitung eines digitalen Monitoringsystems mit frei zugänglichen Daten

Bei der Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie sind die Vorschläge des IGB ohnehin eine selbstverständliche Voraussetzung. Ebenso selbstverständlich sollte es sein, parallel dazu auch die Wasserrahmenrichtlinie für Werra und Weser umzusetzen. Mit der in Deutschland praktizierten Missachtung der Richtlinie 2000/60/EG in der FGE Weser kann man keinen Nachbarstaat dazu ermutigen, sich an europäische Richtlinien zu halten. Aber wer im Glashaus sitzt …


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