„Wunschliste des Grauens“ – Die EU-Kommission will die EU-Wasserrahmenrichtlinie einem „Fitnesscheck“ unterziehen; bis Mitte 2020 soll über die Zukunft der Gewässer in den Mitgliedsstaaten entschieden werden. Anlass ist massiver Druck von Industrie und Landwirtschaft.
von Walter Hölzel
Kurz gesagt
■ Die EU-Kommission bereitet eine Revision der EU-Wasserrahmenrichtlinie vor.
■ Industrie und Landwirtschaft verlangen Fristverlängerungen sowie die Aufweichung des Verschlech- terungsverbots.
■ Das „wirtschaftliche Interesse“ der Verursacher von Umweltschäden soll – gleichberechtigt dem „überwiegend öffentlichen Interesse“ – über dem Gewässerschutz stehen.
■ Die Wünsche der Industrie würden die Umweltpolitik der Europäischen Union entscheidend verän- dern. Die Gewässer würden weiterhin verschmutzt und es könnten sogar bislang rechtswidrige Ent- sorgungspraktiken legalisiert werden. Es gibt wieder viel zu tun.
Die deutschen Behörden behindern schon jetzt die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie
Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) ist im Jahre 2000 in Kraft getreten; sie schreibt vor, dass die Gewässer der Mitgliedsstaaten spätestens bis 2015 den „guten chemischen und biologischen Zustand“ erreichen müssen. In Ausnahmefällen, wenn die Verursacher wirtschaftlich besonders schwach oder die Umsetzung technisch besonders schwierig ist, können Verlängerungen bis 2021 bzw. 2027 gewährt werden.
Mit der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie hat sich die Bundesrepublik nicht beeilt. Im Falle der Versalzung von Werra und Weser ist dem Verursacher der Flussgebietsversalzung sogar noch einmal erlaubt worden, den Zustand der Flüsse erheblich zu verschlechtern. Auf Wunsch des Unternehmens K+S wurde 2003 der Grenzwert für Magnesium nahezu verdoppelt.
Die Bewirtschaftungspläne für die Flüsse Werra und Weser lassen bis heute nicht erkennen, dass die Umweltziele der EU-WRRL angestrebt werden. Verantwortlich dafür sind neben der Umweltverwaltung des Landes Hessen auch die anderen Anrainerländer in der Flussgebietsgemeinschaft Weser. Keiner der Verantwortlichen hat erkennbar den Versuch unternommen, die Vorgaben der EU-WRRL umzusetzen.
Deshalb – und nach einer Beschwerde der Anrainer-Klagegemeinschaft – hat die EU-Kommission 2012 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Noch 2015 war die Kommission der Auffassung, dass der K+S AG keine Ausnahmen zugestanden werden dürften, weil die dazu erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Man kann schließlich dem größten Salzproduzenten der Welt nicht zugute halten, er sei wirtschaftlich oder technisch nicht in der Lage, sich um seine Abfälle zu kümmern.
Die oben skizzierte Position der EU-Kommission hat sich offenbar geändert. Schon 2016 wurden die für die Rechtsdurchsetzung in deutschen Angelegenheiten zuständigen Beamten der Generaldirektion Umwelt in andere Dienststellen versetzt. Über mehrere Jahre blieben diese Stellen vakant und dieses Arbeitsgebiet ohne Ansprechpartner – jedenfalls für die geschädigten Anrainer von Werra und Weser. Ansonsten steht die EU-Kommission Lobbyisten bekanntlich offen (1). 2019 wurde das Vertragsverletzungsverfahren schließlich eingestellt (2), auf eine Begründung wartet die Klagegemeinschaft als Verfahrensbeteiligte bisher vergebens (3).
Ziel der Revision: „Wirtschaftliches Interesse“ statt Gewässerschutz
Die Erklärung liefert wohl die Meldung der TAZ, die EU-Kommission bereite eine Revision der EU-WRRL vor (4), die etwas verschleiernd „Fitnesscheck“ genannt wird. Bis Mitte 2020 soll über die Gewässer der Mitgliedsstaaten entschieden werden.
Die TAZ berichtet auch, dass der World Wildlife Fund (WWF) die Unterlagen von Lobbyorganisationen durchleuchtet hat, die im Auftrag der Industrie eine Aufweichung der EU-WRRL fordern: eine „Wunschliste des Grauens“. Die Studie soll in Kürze veröffentlicht werden. Die TAZ zitiert den WWF wird mit den Worten, die EU-WRRL solle sich nach den Wünschen der Industrie künftig „weniger an ökologischen Werten, stärker aber an menschlichen Nutzungsinteressen orientieren“, es wachse „die Gefahr für Mensch und Natur durch chemische Stoffe im Gewässer“.
Die EU-WRRL bietet in der jetzigen Form die Möglichkeit, von den Umweltzielen abzuweichen, wenn bestimmte Projekte in „überwiegend öffentlichem Interesse“ liegen, etwa die Zufahrt zu einem Seehafen. Die Industrie möchte, dass diese Klausel auf das „wirtschaftliche Interesse“ der Verursacher erweitert wird. Damit gäbe es dann keinen Gewässerschutz mehr. Umweltverschmutzung ist für die Industrie immer „wirtschaftlicher“ als Gewässerschutz. Die Zeche zahlen die Anrainer der betroffenen Gewässer (5).
Angegriffen werden das Verschlechterungsverbot und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs
Auch bei „erheblich veränderten Gewässern“ – also etwa begradigten Bächen oder schiffbaren Flüssen – gestattet die EU-WRRL unter bestimmten Umständen, von den Qualitätszielen der Richtlinie abzuweichen. Die K+S AG hat schon im „Pilotprojekt Werra-Salzabwasser“ (6) versucht, diese Ausnahmemöglichkeit auf chemisch-biologisch veränderte Gewässer auszudehnen. Damit wären das Grundwasser im Werra-Fuldarevier und die Werra selbst von der Umsetzung der EU-WRRL sowie der Erreichung der Umweltziele ausgenommen und K+S hätte seine Entsorgungstätigkeit unverändert fortsetzen können. Diese Argumentation ließ sich wohl aus juristischen Gründen nicht durchsetzen.
Auch im Bewirtschaftungsplan 2015-2021 für Werra und Weser (verabschiedet 2016) finden sich noch entsprechende Hinweise. Das Grundwasser und die Werra seien ohnehin irreversibel geschädigt, deshalb sei es nicht zumutbar, die Umweltziele der EU-WRRL erreichen zu müssen. Den Wünschen der K+S AG hatte aber der Europäische Gerichtshof schon 2015 einen Riegel vorgeschoben (7). Das Gericht hatte die in der EU-WRRL verwendeten Begriffe „Verbesserung“ und „Verschlechterung“ genauer definiert und das Verschlechterungsverbot eng gefasst. Wenn ein Gewässer bereits in einem „schlechten Zustand“ sei, so das Gericht, dann müsse jede weitere Einleitung als Verletzung des Verschlechterungsverbots angesehen werden. Das Urteil ist auch für Laien nachvollziehbar, denn es kann kaum im Sinne der (bisherigen) EU-WRRL sein, wenn ein Verschmutzer dafür belohnt wird, ein Gewässer durch seine Entsorgungstätigkeit „erheblich“ zu verändern.
Das Urteil betrifft auch die Einleitung von Salzabwässern in das Grundwasser und in die Werra, denn beide Gewässer sind als „schlecht“ im Sinne der EU-WRRL eingestuft. Nach unserer Einschätzung kann K+S seine Entsorgungstätigkeit nur deshalb unverändert fortsetzen, weil das hessische Umweltministerium und die hessischen Behörden das Urteil des EuGH nicht zur Kenntnis nehmen.
Die Lobbyorganisationen haben nun den alten Wunsch der K+S AG wieder aufgegriffen. „Erheblich veränderte Gewässer“, deren Zustand durch „stofflich/chemische“ Einleitungen verursacht wurde, sollen von der Pflicht zur zielgerechten Umsetzung der EU-WRRL ausgenommen werden. Das hätte Auswirkungen für die Werra und die Oberweser. So wird verständlich, dass die K+S AG bei ihren Verhandlungen mit der Klägergemeinschaft keinen Anlass gesehen hat, eine Verbesserung für diese Flussabschnitte anzustreben (8).
Anmerkungen
- W.Hölzel/WWA, Ein Feldzug gegen die Umwelt, Salzblog 33, 01. Mai 2019
- W.Hölzel/WWA, Danke für die Klatsche, Salzblog 39, 20. Juni 2019
- Schreiben des Rechtsvertreters der Klagegemeinschaft, Prof. Dr. Breuer, an die EU-Kommission vom 17. Juni 2019
- https://taz.de/Musterbeispiel-fuer-Lobbyarbeit/!5606104/
- W. Hölzel/WWA, Klimaschutz durch Werraschutz, Salzblog 36, 03. Juni 2019
- RP Kassel, Pilotprojekt Werra-Salzabwasser 2005-2007, div. Zwischenberichte, Endbericht Januar 2007
- EuGH, Urteil vom 01.07.2015, Rechtssache C-461/13
- W.Hölzel/WWA, Die Werra soll auf der Strecke bleiben – und die Weser auch, Salzblog 32, 18. März 2019