Wenn die Bundesrepublik die europäische Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland nicht anwenden will, dann kann sie von den Nachbarstaaten deren Einhaltung nicht verlangen – Offener Brief an die Bundesumweltministerin Steffi Lemke
„Salzeinleitungen, Wärme und Niedrigwasser hatten voriges Jahr eine Naturkatastrophe im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder ausgelöst: Giftige Algen verbreiteten sich massiv und töteten 400 Tonnen Fisch. Nun droht eine Wiederholung im Sommer. Umweltministerin Steffi Lemke will deshalb den Druck auf die polnische Regierung erhöhen.“, RND 07.06.2023
„Die Oder-Katastrophe kann sich an der Werra nicht wiederholen: Der Fluss ist bereits seit Jahrzehnten tot.“, Pressemitteilung der Werra-Weser-Anrainerkonferenz e.V. zum Tag der deutschen Einheit 03.10.2022

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
der Presse entnehme ich, dass Sie die Oder und deren Ökosysteme vor den Folgen der fortgesetzten Einleitung von Salzen durch polnische Bergbaubetriebe schützen wollen. Das wäre zu begrüßen. Allerdings könnten unsere polnischen Nachbarn leicht nachweisen, wie im Falle der Versalzung von Werra und Weser durch die Abwässer der Kali-Industrie deutsche Behörden die Richtlinie 2000/60/EG zugunsten des Verursachers umgehen – und dasselbe „Recht im Unrecht“ für sich in Anspruch nehmen.
Aushebeln der Wasserrahmenrichtlinie und Verschleppen der Maßnahmenpläne
Der von der Hessischen Landesregierung und der K+S AG erarbeitete Plan („Vierphasenplan“, 2014) besteht darin, die Werra zu einem unsanierbaren Gewässer herabzustufen und gleichzeitig die Maßnahmenpläne der Flussgebietseinheit Weser zu verschleppen (M. Reinhardt, 2015). So soll es möglich sein, die Flussgebietseinheit Weser als „ökologisches Opfergebiet außerhalb des Schutzregimes der Wasserrahmenrichtlinie einzurichten und dies dauerhaft aufrechtzuerhalten“.
M. Reinhardt: „Rechtsgutachten: Wasserrechtliche Anforderungen an eine dauerhafte Lösung für die Salzwasserproblematik in Werra und Oberweser – Zum Vierphasenplan des Landes Hessen und der K+S AG“, Februar 2015. Dieses Gutachten war von der Verursacherin der Werr-Weser-Versalzung beauftragt worden.
Ein von der Landesregierung NRW beauftragtes Rechtsgutachten (S. Laskowski, R. Verheyen, 2015) hat demgegenüber die grundlegende Rechtswidrigkeit des „Vierphasenplans“ herausgearbeitet. Auch liegen die für eine Herabstufung der Werra erforderlichen Voraussetzungen nicht vor. Trotzdem wurde der Vierphasenplan in kollusiver Zusammenarbeit der Verursacherin und der zuständigen hessischen Behörden zur Grundlage der Bewirtschaftungspläne 2015-2021 und 2022-2027 für die FGE Weser gemacht (StA Meiningen 2021). Die Qualitätsziele der Richtlinie 2000/60/EG werden dort nicht mehr angestrebt und die Maßnahmenpläne der genannten Bewirtschaftungspläne werden von der hessischen Genehmigungsbehörde verschleppt, indem sie die „Zielwerte“ der Maßnahmenpläne nicht berücksichtigt (RP Kassel, 23.11.2021).
S. Laskowski, R. Verheyen: „Rechtsgutachten: Werra- und Weser-Versalzung – Vereinbarkeit der Vorschläge Hessens an die FGG Weser mit europäischem und deutschem Wasserrecht“, 26.01.2015
Staatsanwaltschaft Meiningen, Schreiben vom 23.04.2021 an die Werra-Weser-Anrainerkonferenz
RP Kassel, „Wasserrechtliche Erlaubnis des Regierungspräsidiums Kassel zur Einleitung salzhaltiger Abwässer aus den Werken Neuhof-Ellers und Werra in die Werra für die Firma K+S Minerals and Agriculture GmbH, Werke Neuhof Ellers und Werra“, 23.12.2021
W. Hölzel, WWA, „Ziel des Bewirtschaftungsplans 2022-2027 für die Flussgebietseinheit Weser ist die Aufhebung des Gewässerschutzes“, 21.03.2023, https://bit.ly/3qyRYnP
Die EU-Kommission beugt sich den Wünschen der Bundesrepublik
Auf Wunsch der Länder Hessen und Thüringen sowie des Bundeswirtschaftsministeriums hat die Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission diese Abweichung von den Vorgaben der Richtlinie 2000/60/EG akzeptiert; ein im Jahre 2012 eröffnetes Vertragsverletzungsverfahren 2012/4081 gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Nicht-Umsetzung der Richtlinie 2000/60/EG hat die Kommission im Juni 2019 abgeschlossen.
Schreiben der Klagegemeinschaft der Werra-Weser-Anrainer (RA Prof. Dr. R. Breuer) an die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission vom 29.07.2019
Schreiben der Werra-Weser-Anrainerkonferenz an die GD Umwelt vom 01.05.2021
Schreiben der GD Umwelt an die Werra-Weser-Anrainerkonferenz vom 22.12.2021
Im Falle von Werra und Weser ist zwar kein Nachbarstaat direkt betroffen, aber es scheint mir doch, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorgehen zugunsten des Verursachers Bedingungen geschaffen hat, die Ihr (lobenswertes) Vorhaben an der Oder erschweren dürfte.
Ich sehe allenfalls die Möglichkeit oder Notwendigkeit, die Situation der Flüsse Oder, Werra und Weser gemeinsam zu verbessern. Das hat bisher noch niemand versucht.