Auch die Kali-Industrie muss für ihre Umweltschäden haften

Die Europäische Umwelthaftungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten der EU, alle Umweltschäden, die nach dem 30.04.2007 entstanden sind, an die Europäische Union zu melden. Ziel dieser Maßnahme ist die Sanierung der Schäden und die Haftbarmachung der Verursacher. Es gilt das Verursacherprinzip.

Einer größten Umweltschäden der letzten Jahrzehnte in Hessen dürfte die Versalzung von Werra und Weser und des Grund- und Trinkwassers durch die Abwässer der Kali-Industrie sein. Für die Hessische Landesregierung war dies jedoch kein Grund, einen Umweltschaden nach Brüssel zu melden. Fehlerhaftes Verhalten der Behörden kann die Verursacher aber nicht davor schützen, die angerichteten Schäden sanieren zu müssen.

Am 09.02.2022 wurde im Umweltausschuss des Hessischen Landtags ein Dringlicher Berichtsantrag der Fraktion DIE LINKE behandelt. Die Abgeordneten wollten wissen, welche Umweltschäden die Landesregierung im Rahmen ihrer Berichtspflicht zur Umwelthaftungsrichtlinie nach Brüssel gemeldet hat. Das Protokoll der Sitzung wurde erst jetzt veröffentlicht.

http://linksfraktion-hessen.de/fileadmin/user_upload/Prot_ULA_09.02.22-oe._Umweltschaeden_K_S.pdf

Einer größten Umweltschäden der letzten Jahrzehnte in Hessen dürfte die Versalzung von Werra und Weser und des Grundwassers durch die Abwässer der Kali-Industrie sein. Die Hessische Landesregierung ist aber der Ansicht, dass hier keinerlei Schäden eingetreten sind, die meldepflichtig wären.

Kein Schaden im Werrarevier und in Werra und Weser?

Tatsächlich sind die Schäden erheblich:

  • In der Werra ist die Süßwasser-Lebensgemeinschaft vernichtet und in der Weser schwer gestört. Insgesamt sind 630 km Flusslauf betroffen.
  • Im Werrarevier sind mehr als eine Milliarde Kubikmeter Abwässer in den Untergrund verpresst worden. Diese Abwässer steigen in die Grundwasser- und Trinkwasserstockwerke auf und gelangen schließlich in die Werra. Im Werrarevier gibt es deshalb kaum noch nutzbare Trinkwasservorkommen. Auch das Grundwasser von Werra und Weser ist so versalzen, dass bis Bremen kein Trinkwasser aus dem Uferfiltrat gewonnen werden kann.
  • Mehr als 600 Mio. Tonnen an festen Salzabfällen sind im Werrarevier oberirdisch abgelagert, ihre Menge soll sich bis zur Betriebseinstellung noch einmal verdoppeln. Die Abwässer dieser Rückstandshalden belasten das Grundwasser und die Flüsse auf unabsehbare Zeit. Ohne Rückbau der Halden ist eine qualitative Verbesserung der Werra nicht möglich.

Wann sind Gewässerschäden meldepflichtig?

Eine Schädigung eines Gewässers im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes ist jeder Schaden mit erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf den ökologischen oder chemischen Zustand eines oberirdischen Gewässers oder den chemischen oder mengenmäßigen Zustand des Grundwassers (§90 WHG). Meldepflichtig ist ein Schaden, wenn er nach dem 30. April 2007 eingetreten ist.

Die K+S AG kann keine Ausnahmen in Anspruch nehmen. Die Pflicht zur Sanierung entfällt nur, wenn …

  • … die Schädigung nicht durch verantwortliches Handeln verursacht worden ist, sondern auf einer Änderung der physischen Eigenschaften des Gewässers beruht (§31 (2) 1 WHG);
  • … die Gründe für die Schädigung von übergeordnetem öffentlichem Interesse sind oder wenn der Nutzwert der Gewässerverunreinigung für die Gesundheit oder die Sicherheit der Menschen oder für eine nachhaltige Entwicklung größer ist als der Nutzen einer besseren Gewässerqualität (§31 (2) 2 WHG);
  • … die Ziele, die mit einer Verschlechterung der Gewässerqualität erreicht werden, nicht mit anderen, technisch und wirtschaftlich machbaren Verfahren und geringeren Umweltauswirkungen erreicht werden können (§ 31 (2) 3 WHG);
  • … bereits alle geeigneten Maßnahmen ergriffen worden sind, um die nachteiligen Auswirkungen zu verringern (§ 31 (2) 4 WHG).

Tatsächlich ist keine dieser Voraussetzungen gegeben, denn …

  • … der schlechte ökologische und chemische Zustand der Werra und der schlechte chemische Zustand des Grundwassers lässt sich fast ausschließlich auf die Abwässer der K+S AG zurückführen. Der Oberlauf der Werra ist bis zum Einsetzen der Abwassereinträge in die Qualitätsstufe „3=befriedigend“ gemäß EU-WRRL eingestuft. Der salzbelastete Teil des Flusses musste dagegen der schlechtesten Qualitätsstufe der WRRL „5=schlecht“ zugeordnet werden.
  • … das übergeordnete Interesse für die Belastung der Werra und des Grundwassers ist die Produktion von Kalidünger. Damit lässt sich allerdings die qualitative Verschlechterung der Gewässerkörper nicht rechtfertigen, denn der Stand der Technik ermöglicht eine abstoßfreie Düngerproduktion. Bei der Aufarbeitung der K+S-Abwässer lassen sich erhebliche Mengen an Wertstoffen gewinnen, deshalb ist eine abstoßfreie Kaliproduktion auch wirtschaftlich sinnvoll. Die Entsorgungspraxis der K+S AG ist nicht nachhaltig, sie vergeudet mit der Verklapppung der Abwässer die darin enthaltenen Rohstoffe und die aufgewandte Energie.
  • … die K+S AG hat seit Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtlinie im Jahre 2000 keinerlei Anstrengungen unternommen, um den Abstoß von Salzabfällen zu verringern und so die Qualitätsziele der Wasserrahmenrichtlinie erreichen zu können. Das 2009 aufgelegte „360-Mio.-Euro-Maßnahmenpaket zum Gewässerschutz“ hat zwar den Anfall von Produktionsabwässern verringert, dafür aber den Anfall von Haldenlaugen bedeutend erhöht. Für den Gewässerschutz hat das Maßnahmenpaket keinerlei positive Auswirkungen gehabt. Auch die Anfang 2018 von K+S in Betrieb genommene „KKF-Anlage“ konnte nicht verhindern, dass die K+S AG Betriebsstilllegungen wegen drohender Überschreitung der Grenzwerte in der Werra beklagen musste.

Wie argumentiert die Ministerin?

Die hessische Umweltministerin nennt im Wesentlichen drei Gründe, mit denen sie eine Meldepflicht der von der K+S AG verursachten Schäden bestreitet; sie geht aber ausnahmslos von unzutreffenden Annahmen aus:

  • Der Schaden sei schon vor dem Stichtag im Jahre 2007 eingetreten,
  • das Regierungspräsidium Kassel habe als zuständige Behörde mehrfach festgestellt, dass keinerlei Schaden entstanden sei und
  • das Verwaltungsgericht Kassel habe die Rechtmäßigkeit der erteilten Genehmigungen bestätigt.

Diese Argumente können nicht überzeugen, sie gehen ausnahmslos von unzutreffenden Annahmen aus.

Gedankenfehler

Der Stichtag für die Meldung eines Umweltschadens ist der 30.04.2007. Der vor diesem Datum genehmigte Abwasserabstoß hat aber nicht vor dem 29.04.2007 aufgehört, er ist vielmehr immer wieder erneut genehmigt worden und wird bis zum heutigen Tage fortgesetzt

Der aus der Einleitung von Abwässern entstehende Schaden wird nämlich an einem fließenden Gewässer verursacht. Mit anderen Worten: durch die fortlaufende Einleitung von Schadstoffen wird im Fluss eine Konzentration von Schadstoffen aufrecht erhalten, bei der das Süßwasser-Ökosystem nicht überleben kann. Das macht die Einstufung in den schlechtesten Qualitätszustand erforderlich.

Das Beispiel des Rheins nach dem Sandoz-Unfall zeigt, wie dynamisch die Ökosysteme in Fließgewässern sind. Wäre die Einleitung von Schadstoffen in die Werra eingestellt worden, dann hätte der Fluss die Schadstoffe weggespült und der vormals salzbelastete Teil der Werra wäre jetzt so sauber ist wie ihr Oberlauf. Die Werra wäre damit um mindestens zwei Qualitätsstufen besser als der von der Kali-Industrie verantwortete Abwasserkanal gleichen Namens. Eine ziel- und fridstgerechte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie wäre dann problemlos möglich, die Meldung eines Umweltschadens wäre nicht erforderlich.

Etwas anders liegen die Umstände bei den in den Untergrund verpressten Abwässern. Die Schädigung des Grundwassers hat zwar lange vor dem Jahre 2007 begonnen, die Erlaubnis hierfür ist Ende 2021 ausgelaufen. Die Schädigung setzt sich aber auch jetzt noch fort. Wegen des im Untergrund aufgebauten Überdrucks dehnt sich die unterirdische Abwasserblase immer weiter aus, denn Flüssigkeiten lassen sich nicht komprimieren. Der Besorgnisgrundsatz des Wasserhaushaltsgesetzes hat aus diesem Grunde eine Erlaubnis zur Fortsetzung der Laugenverpressung ausgeschlossen.

Das hat wohl auch das Regierungspräsidium Kassel als Genehmigungsbehörde erkannt und entsprechende Maßnahmen für erforderlich gehalten. Die Staatsanwaltschaft Meiningen schreibt:

Im weiteren Verlauf konstruierten Mitarbeiter der Firma Kali und Salz gemeinsam mit einer hinzugezogenen Anwaltskanzlei und Bediensteten des Regierungspräsidiums Kassel und den durch die Firma Kali und Salz beauftragten Rechtsgutachter Prof. XXX* einen künstlichen Sachverhalt zur Funktionsweise der Laugenversenkung, welcher es dem Gutachter erlaubte, unter Ausnutzung vertretbarer juristischer Auslegungsspielräume zu bestätigen, dass eine Fortsetzung der Versenkung nicht gegen den wasserrechtlichen Besorgnissatz verstößt.“

* Name unkenntlich gemacht, der Autor

Mit anderen Worten: die Genehmigungsbehörde hat gemeinsam mit der K+S AG ein wissenschaftliches Gutachten verfälscht, um so die Rechtmäßigkeit einer vom Verursacher der Werraversalzung gewünschten Genehmigung vortäuschen zu können.

Fehlmeinung in eigener Sache

Nach Auskunft der Umweltministerin ist das Regierungspräsidium Kassel dafür zuständig, das Vorliegen eines Umweltschadens festzustellen oder zu verneinen. Hier befindet sich die Behörde in einem Interessenskonflikt, denn sie muss damit auch über die eigenen Genehmigungen urteilen. Die Staatsanwaltschaft Meiningen hat aber dem RP Kassel 2021 vorgeworfen, den Betreibern des Kalibergwerks seit Jahrzehnten rechtswidrige Erlaubnisse erteilt zu haben.

Nicht alle Urteile sind rechtskräftig

Schließlich verweist die Ministerin auf ein „rechtskräftiges“ Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel vom 01.09.2011, das die Rechtmäßigkeit der erteilten Genehmigungen bestätigt habe. Hier muss man das zitierte Urteil nicht einmal lesen, um zu wissen, dass sich die Ministerin irrt:

Eine Erlaubnis, Abwässer der Kali-Industrie in das Grundwasser oder die Werra einzuleiten, setzt nämlich voraus, dass diese Gewässer auch tatsächlich weiter belastet werden dürfen. Dem hat der der EuGH in einem Urteil vom 01.07.2015 (in der Rechtssache C-461/13) einen Riegel vorgeschoben. Weil der Fluss und das Grundwasser in die schlechteste Qualitätsstufe gemäß der Wasserrahmenrichtlinie eingeordnet sind, ist jede weitere Einleitung von Abwässern rechtswidrig – das galt auch schon vor 2007. Das Regierungspräsidium Kassel nimmt das Urteil des EuGH allerdings nicht zur Kenntnis.

Die EU-Kommission muss wieder einschreiten

Wegen der beschriebenen Missstände bereitet die Werra-Weser-Anrainerkonferenz e.V. einen erneuten Besuch bei der EU-Kommission in Brüssel vor. Wir fordern die Wiederaufnahme des Vertragsverletzungsverfahrens wegen der Nicht-Umsetzung der Wasserrahmnenrichtlinie in der Flussgebietseinheit Weser. Dabei wird auch er deutsche Umgang mit der Umweltschadensrichtlinie eine Rolle spielen.


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