Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Erlaubnissen, die es der K+S AG ermöglicht haben, sich ihrer Abwässer durch Versickernlassen in das Grundwasser und durch Einleitung in die Werra zu entledigen

Die Frage der Rechtmäßigkeit der K+S-Entsorgungspraxis konnte in den von der Klagegemeinschaft der Werra-Weser-Anrainer angestrengten Prozessen nicht geklärt werden. Die zuständigen Verwaltungsgerichte haben es nämlich vermieden, sich inhaltlich mit den offenen Rechtsfragen zu befassen. Sie haben vielmehr in jedem Fall den betroffenen Anrainern die Klagebefugnis abgesprochen. Inzwischen haben der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) für hinreichende Rechtssicherheit gesorgt. Das macht es möglich, sich erneut für die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in der Flussgebietseinheit Weser (FGE Weser) vor Gericht einzusetzen.

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie verlangt, dass das Oberflächenwasser und das Grundwasser in der Europäischen Union bis spätestens 2027 in einen „guten Zustand“ gebracht werden muss. Die Richtlinie definiert dazu für die Oberflächengewässer fünf Qualitätsstufen („sehr gut“ bis „schlecht“, für das Grundwasser deren zwei („gut“ und „schlecht“). Das angestrebte Qualitätsziel ist der „gute Zustand“, die Mindestanforderung ist eine Verbesserung des Zustandes („Verbesserungsgebot“), während eine Verschlechterung des Zustandes ausgeschlossen wird („Verschlechterungsverbot“).

Der EuGH liefert notwendige Definitionen und verhindert Mißbrauch

In einem Urteil vom 01.07.2015 definiert der EuGH in der Rechtssache C-461/13, was unter „Verbesserung“ oder „Verschlechterung“ im Kontext der Wasserrahmenrichtlinie zu verstehen ist. Außerdem schiebt das Gericht bestimmten Versuchen eine Riegel vor, Gewässer mutwillig und rechtswidrig so weit zu schädigen, dass sie in den schlechtesten der definierten Zustände geraten und nicht mehr saniert werden können. Wenn ein Gewässer nicht mehr saniert werden kann, so könnte ein Schädiger argumentieren, ist eine weitere Verschlechterung nicht mehr möglich und man könnte die Schädigung nunmehr legal weiterführen.

Das würde natürlich dem Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie widersprechen. Deshalb stellt der EuGH in seinem Urteil fest: Wenn ein Gewässer bereits in die schlechteste der definierten Qualitätsstufen eingeordnet ist, dann ist jede weitere Einleitung als Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot zu bewerten.

Sowohl die Werra als auch das Grundwasser im Werratal sind wegen der K+S-Entsorgungspraxis in die schlechteste Qualitätsstufe eingeordnet. Aus dem zitierten Urtel des EuGH folgt dann notwendig für die Entsorgungspraxis der K+S AG: Sowohl die Einleitung von Abwässern in die Werra als auch Versickernlassen von Haldenlaugen verstößt gegen das Verschlechterungsverbot und ist deshalb rechtwidrig; entsprechende Erlaubnisse hätten nicht erteilt werden dürfen.

Die Hessische Landesregierung wendet das Urteil des EuGH nicht an

Trotzdem hat die Hessische Landesregierung der K+S AG immer wieder die Erlaubniss erteilt – de facto – gegen das Recht zu verstoßen. Sie bezieht dazu eine leicht zu durchschauende und äußerst fragwürdige Rechtsposition:

  • Das Urteil des EuGH vom 01.07.2015 bezöge sich nur auf Oberflächengewässer und sei auf Grundwasserkörper nicht anwendbar
  • Die erteilten Erlaubnisse seien schon deshalb nicht rechtswidrig, weil der EuGH mit seinem Urteil neues Recht geschaffen habe. Vor dem 01.07.2015 erteilte Erlaubnisse seien deshalb rechtmäßig.

Das BVerwG widerspricht der Landesregierung

Das BVerwG befasst sich in einer anderen Rechtssache mit der EU-WRRL und der zitierten Rechtsposition und urteilt am 23.06.2020 (BVerwG 9 A 22.19, Rn. 30 und 31):

  • Die Zlele der EU-WRRL, sowie deren Verbesserungsgebot und das Verschlechterungsverbot sind verbindliche Vorgaben; dies gilt gleichermaßen für Oberflächengewässer und das Grundwasser
  • Der EuGH hat mit seinem Urtel vom 01.07.2015 kein neues Recht geschaffen, sondern die EU-WRRL nur erläutert. Auch vor dem 01.07.2015 erteilte Erlaubnisse sind rechtswidrig, wenn sie die Vorgaben der EU-WRRL mißachten.

Dass die benannten Erlaubnisse schon zum Zeitpunkt ihrer Erteilung rechtswidrig waren, ist somit festgestellt. Das bedeutet nach Auffassung des Gerichts aber nicht, dass sie widerrufen werden müssen. Die K+S AG kann sich freuen: Ihre Entsorgungspraxis bleibt zunächst ungesühnt. Dass die Verwaltungsgerichte sich bei den Klagen der Klagemeinschaft nicht inhaltlich mit der Entsorgungspraxis der K+S AG befasst haben, war also durchaus vorteilhaft für das Unternehmen. Trotzdem: weitere Erlaubnisse oder auch bloße Verlängerungen rechtswidriger Genehmigungen sind jetzt nicht mehr möglich.

Auch sind die grundsätzlichen Probleme der K+S AG nicht gelöst. Selbst wenn künftig die Grube Springen mit Produktionsabwässern geflutet werden darf, bleibt das Problem der Haldenlaugen bestehen. K+S hat selbst dafür gesorgt, dass die Salzhalden wegen der Abfälle ihrer „KKF-Anlage“ rasant wachsen und dass damit auch die Menge an Haldenlaugen zunimmt. Sie sollen von 2 Mio. Kubikmetern/Jahr (2008) auf 4,2 Mio. Kubikmeter/Jahr (Betriebsende) ansteigen. Eine Lösung für die angebliche geplante Abdeckung der Halden kann K+S nicht plausibel anbieten. Es ist nicht mehr möglich, das Versickenlassen der Haldenlaugen oder ihre Einleitung in die Werra zu genehmigen.

Begründet die Versalzung des Trinkwassers keine Klagebefugnis? Doch, sagt der EuGH.

Die Stadt Witzenhausen hat als Mitglied der Klagegemeinschaft gegen Genehmigungen geklagt, die der K+S AG erteilt worden waren. Sie hat ihre Betroffenheit auch damit begründet, dass eigene Trinkwasserbrunnen wegen der Versalzung der Werra und des Grundwassers in der Werraaue nicht mehr für Trinkwasserzwecke genutzt werden können. Trotzdem haben dier zuständigen Gerichte der Stadt die Klagebefugnis abgesprochen.

In den Erwägungsgründen 24 der Wasserrahmenrichtlinie heißt es aber: „Eine gute Wasserqualität sichert die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser.“ und der EuGH stellt 2020 (URTEIL DES GERICHTSHOFS vom 28. Mai 2020(*) in der Rechtssache C‑535/18) fest:

„Wer zur Grundwasserentnahme und -nutzung berechtigt ist, nutzt das Grundwasser legitim in diesem Sinne. Folglich ist er von der Verletzung der Pflichten zur Verbesserung und zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Grundwasserkörper, die seine Quelle speisen, unmittelbar betroffen, da diese Verletzung seine Nutzung beeinträchtigen kann“ (Randnummer 132) und weiter:

„(…) Mitglieder der von einem Projekt betroffenen Öffentlichkeit (müssen) befugt sein (…), vor den zuständigen nationalen Gerichten die Verletzung der Pflichten zur Verhinderung der Verschlechterung von Wasserkörpern und zur Verbesserung ihres Zustands geltend zu machen, wenn diese Verletzung sie unmittelbar betrifft.“ (Randnummer 135).

Stellt die Entsorgungstätigkeit der K+S AG keine Umweltverschmutzung dar? Doch, sagt die Wasserrahmenrichtlinie.

Die Folgen der Entsorgungstätigkeit der Kali-Industrie im Werratal sind gravierend. Das Süßwasser-Ökosystem ist in der Werra ausgelöscht und in der Weser stark geschädigt. Im Werrarevier und im Grundwasser des Flusssystems bis Bremen sind Trinkwasservorkommen vernichtet.

Als aber der Rechtsanwalt der Klagemeinschaft in einer der Gerichtsverhandlungen dies als „Umweltverschmutzung“ bezeichnet hat, wurde ihm dies von einem der Richter untersagt. Die Wasserrahmenrichtlinie definiert in Artikel 2, was unter „Verschmutzung“ zu verstehen ist:

„‚Verschmutzung‘: die durch menschliche Tätigkeiten direkt oder indirekt bewirkte Freisetzung von Stoffen oder Wärme in Luft, Wasser oder Boden, die der menschlichen Gesundheit oder der Qualität der aquatischen Ökosysteme oder der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme schaden können, zu einer Schädigung von Sachwerten führen oder eine Beeinträchtigung oder Störung des Erholungswertes und anderer legitimer Nutzungen der Umwelt mit sich bringen“.“

Wie geht es weiter?

Die Klagegemeinschaft der Werra-Weser-Anrainer hat ein „Vergleichsangebot“ der K+S AG wegen dessen Substanzlosigkeit abgelehnt: Es hätte die Gewässerqualität der Werra nicht im Mindesten verbessert. Die Klagegemeinschaft will den Fluss nicht aufgeben und wird sich weiter für ihre Interessen einsetzen. Die rechtlichen Voraussetzungen sind so gut wie nie. Und: Man darf Umweltverschmutzung beim Namen nennen.