Die Besatzung der Titanic hofft auf eine technische Lösung, die es unnötig macht, dem Eisberg auszuweichen

Und: In Hessen taugen die Grundsätze der Umweltpolitik auch dazu, mit verdorbener Wurstmasse umzugehen.

Ein verzinkter Laternenpfahl ca. 1,5 km von der K+S-Salzhalde bei Heringen entfernt. Die rostige Seite ist der Halde zugewandt, sie zeigt die Einflüsse der Salzverwehungen. Inzwischen sind die verzinkten Laternenpfähle durch Aluminiumpfähle ersetzt worden.

Teil III – Hessen: Weitreichende Zugeständnisse, Greenwashing und fiktive Problemlösungen. Die Salzhalden sollen auf das doppelte Volumen anwachsen, die Flüsse und das Grundwasser bleiben auf der Strecke. Die Umweltministerin verspricht uns Süßwasser.

von Walter Hölzel

Wir haben kürzlich erfahren, dass die bündnisgrüne Landtagsfraktion in Hannover den Rückbau der dortigen Salzhalden fordert. Sie lehnt auch die Neuanlage von Rückstandshalden ab, weil sie nicht dem Stand der Technik entspricht (1). Es sei möglich und sinnvoll, diese Altlasten der Kali-Industrie gar nicht erst entstehen zu lassen. Diese Position vertritt die Werra-Weser-Anrainerkonferenz seit Jahren.

In Hessen sind die Verhältnisse ganz anders…

In Hessen sind die Verhältnisse ganz anders. Die Umweltministerin Priska Hinz (B’96/Die Grünen) hat sich mit ihrem Vierphasenplan aus dem Jahre 2014 nicht nur mit der Verpressung von Abfalllaugen in den Untergrund und deren Einleitung in die Werra einverstanden erklärt, sondern auch mit der Verdoppelung der Rückstandshalden. Deren Abwässer, die sich dann ebenfalls verdoppeln werden, verhindern, dass in der Werra und in der Oberweser die Umweltziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie auch nur im Ansatz erreicht werden können. Die Abhilfe? Die Lösung der Probleme wird mit fiktiven Vorschlägen auf die Zukunft verschoben, offene Widersprüche verleugnet.

Druckmittel

Das mit dem Vierphasenplan akzeptierte Entsorgungskonzept der K+S Kali GmbH hatte allerdings schon früh mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Es mag die billigste Möglichkeit für die Betriebe im Werratal darstellen, sich ihrer Abwässer zu entledigen, aber es hat entscheidende Nachteile. Aus dem Untergrund steigen verpresste Abwässer wieder an die Oberfläche und von den Halden dringen Abwässer direkt in den Boden und in die Vorfluter. Sie gelangen als „diffuse Einträge“ schließlich in die Werra und können deren Aufnahmefähigkeit für Produktionsabwässer einschränken. Das hat seit 2015 regelmäßig zu angeblichen Entsorgungsnotständen geführt, die Produktionseinschränkungen nötig gemacht haben sollen (2).

Die Notstandsfiktion schien allerdings von Beginn an nicht sehr überzeugend zu sein. Zum Zeitpunkt der ersten Betriebsdrosselung im Jahre 2015 war nämlich der Salzgehalt der Werra gering (3), der Wasserstand der Werra hoch (4) und die Stapelbecken keineswegs gefüllt (5).

Damals gab es aber weltweite Absatzschwierigkeiten für Kalidünger, weil in den Vorjahren die Produktion massiv ausgeweitet worden war. Man hat vermutet, dass die K+S AG die Absatzschwierigkeiten nutzen wollte, um ohne Risiko politischen Druck auszuüben (6), (7), (8). Das Unternehmen hatte nämlich die Erlaubnis zur Fortsetzung der Laugenverpressung beantragt und musste befürchten, diese Erlaubnis nicht zu erhalten. Die hessischen und thüringischen Fachbehörden hatten gewarnt, dass sich das Grund- und Trinkwasser weiter verschlechtern würde.

Retter in der Not

Auch in den folgenden Jahren bis 2018 klagte das Internehmen über angeblich notwendig gewordene Drosselungen der Produktion. Die K+S AG schien aber immer noch keinen Anlass zu sehen, den Abstoß von Salzlaugen zu verringern, indem es in wirkungsvolle Aufbereitungstechnik investiert. Die 2018 von K+S in Betrieb genommene KKF-Anlage war offenbar ungeeignet – auch 2018 gab es wieder einen „Notstand“.

Schließlich haben die Standortländer Thüringen und Hessen dem Unternehmen Auswege angeboten. Das Land Thüringen will der K+S AG erlauben, ihre Produktionsabwässer in der Grube Springen II „einzustapeln“, also dauerhaft einzulagern. Die Abwässer sollen zuvor in geringem Umfang „aufkonzentriert“ werden, um die Gefahr zu vermindern, dass die Stützpfeiler aufgelöst werden. Es sind allerdings nicht Löseprozesse, welche die Bergsicherheit gefährden, sondern chemische Reaktionen des Wasseranteils mit Bestandteilen der Lagerstätte (9), (10).

Das Land Hessen hat der K+S AG sogar erlaubt, nicht vorbehandelte Abwässer „temporär“ in Salzstollen einzulagern. Das hatten die hessischen Behörden bislang aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen (11).

Die unvermeidlichen Folgen werden wieder einmal die Anrainer in Hessen und Thüringen zu tragen haben.

Die fortgesetzte Belastung der Flüsse wird verschwiegen und grün gewaschen

Die Zugeständnisse an den Kalihersteller gehen so weit, dass dieser auf seine bisherige Notlösung verzichten kann, nämlich den Bau einer Abwasserpipeline an die Oberweser. Die hiermit eingesparten 150 – 200 Mio. Euro werden keineswegs dafür eingesetzt, den Abstoß von Salzen an die Umwelt in ausreichendem Maße zu verringern. Auch die neuen Stapelräume in Hessen und Thüringen könnten die Abwässer der Rückstandshalden aufnehmen. Das ist aber nicht vorgesehen. Vielmehr sollen die Haldenlaugen weiterhin in den Fluss geleitet und dazu die Grenzwerte in der Werra ausgenutzt werden.

Das bedeutet, dass sich in der Werra und in der Oberweser die ökologische Situation der Flüsse nicht verbessern kann. Selbst kleinste Verbesserungen im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie können wir nicht erwarten.

Dass der Umgang mit den Kaliabwässern im Werrarevier kein Beispiel für eine überzeugende Umweltzpolitik ist, scheint man im Ministerium verstanden zu haben. Aber was nicht grün ist, das kann man grün waschen. In Hessen spricht man in diesem Zusammenhang sogar von einer „Verbesserung der Gewässerqualität“:

„Unser Ziel ist und bleibt die Verbesserung der Wasserqualität und der bestmögliche Zustand der Werra und Süßwasserqualität der Flüsse. (…). Damit haben wir dank konsequenter, politischer Entscheidungen einen weiteren Schritt getan, um Ökologie und Ökonomie im Kaliabbau in Einklang zu bringen.“ (12)

Sofort fällt auf, dass die Begriffe „Verbesserung“, „bestmöglicher Zustand“ und „Süßwasserqualität“ etwas zu versprechen scheinen, aber gänzlich undefiniert sind. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie definiert nämlich Qualitätsstufen, auf welche sich die Ministerin offenbar nicht festlegen möchte. So eine Umdeutung muss man erst einmal fertig bringen. Die Fraktion der Linken sprach daraufhin zutreffend von „simuliertem Gewässerschutz“ (13).

Es ist noch nicht einmal nachgewiesen, dass die Aufnahmekapazität der Werra ausreichen wird, um die zukünftig zu erwartenden Haldenlaugen wegzuspülen. Schließlich soll das Haldenvolumen verdoppelt werden und die Menge an Haldenlaugen wird nach K+S-Angaben von 2 auf bis zu 4,2 Mio. Kubikmeter pro Jahr zunehmen. Schon mittelfristig könnten weitere Entsorgungsengpässe auftreten und neue Zugeständnisse erforderlich machen.

Jetzt geht es um die Wurst

Im Moment ist die Ministerin allerding stark mit verdorbenen Würsten beschäftigt, deren Verzehr tödlich enden kann (14). Wir schlagen Priska Hinz vor, sich an ihrem Umgang mit den Abfällen der Kali-Industrie zu orientieren, um sich so aus der verdorbenen Wurstmasse zu ziehen: „Unser Ziel ist und bleibt die Verbesserung der Wurstqualität und der bestmögliche Zustand der Würste und Wurstqualität der Würste. Damit haben wir dank konsequenter, politischer Entscheidungen einen weiteren Schritt getan, um Wurstherstellung und Ökonomie in Einklang zu bringen.“

Klingt doch auch nicht schlechter als der Originalton der Ministerin zu Werra und Weser, oder? Das Honorar für diesen Marketingvorschlag bitten wir an die Werra-Weser-Anrainerkonferenz zu überweisen.

„Heuchelei ist nichts weiter als die Lebensweisheit der Kleinmütigen, denn es erfordert einen tapferen Geist und Seelenstärke, zu wissen, wann die Wahrheit gesagt werden muss, und sie dann auch zu sagen; deshalb gehören der schwächlichen Gattung von Staatsmännern die großen Heuchler an.“ (15)

Es ist, als hoffe die Besatzung der Titanic auf eine technische Lösung, die es unnötig macht, dem Eisberg auszuweichen

Das Unternehmen und die Umweltministerin lenken die Hoffnung der Flussanrainer auf eine ferne Zukunft. Eine Abdeckung der Rückstandshalden soll den Anfall von Haldenlaugen um 80% verringern, um doch noch wenigstens eine Annäherung an die Qualitätsziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie möglich erscheinen zu lassen. Aber die K+S AG hat bislang nicht nachgewiesen, dass so eine Abdeckung standfest errichtet werden kann und auch nicht, dass sie wirtschaftlich möglich und auch wirksam ist. Da sie zudem erst 2075 fertiggestellt sein soll, fällt sie zur Bearbeitung der jetzt akuten Probleme ohnehin aus. Es ist, als hoffe die Besatzung der Titanic auf eine technische Lösung, die es unnötig macht, dem Eisberg auszuweichen (16).

Die EU-Kommission hat 2019 das Vertragsverletzungsverfahren wegen der Nicht-Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie auf der Basis der oben beschriebenen vagen Zukunftsvisionen eingestellt. Ob die Kommission aber die Ungereimtheiten auf Dauer übersehen kann, ist zumindest nicht garantiert.

Anmerkungen:

(1)

(2) https://ia601404.us.archive.org/12/items/20151127ksbegrenzteentsorgungsmoglichkeit/2015-11-27%20k%2Bs%20Begrenzte%20Entsorgungsm%C3%B6glichkeit.pdf

(3) https://ia601404.us.archive.org/3/items/20151202salzgehaltderwerra/2015-12-02%20Salzgehalt%20der%20Werra.pdf

(4) https://ia601408.us.archive.org/27/items/20151203hochwassernachrichtenzentralethuringen/2015-12-03%20Hochwassernachrichtenzentrale%20Th%C3%BCringen.pdf

(5) https://ia601402.us.archive.org/2/items/Stapelbecken/Stapelbecken.pdf

(6) https://ia601406.us.archive.org/30/items/gerstungen131215e/Gerstungen%2013-12-15%20e.pdf

(7) https://ia801507.us.archive.org/2/items/wintermarchen/Winterm%C3%A4rchen.pdf

(8) https://ia601508.us.archive.org/2/items/werraweseranrainerkonferenzpm20151130/Werra-Weser-Anrainerkonferenz-PM-20151130.pdf

(9)

(10) Ralf E. Krupp, Offener Brief: Versalzung der Werra und Weser, riskante Einstapelung von Kaliabwässern in ehemaligen Kalibergwerken, 30.07.2019

(11)

(12) Pressemitteilung der Grünen im hessischen Landtag vom 04.09.2019

(13) Pressemitteilung der Fraktion Die Linke vom 04.09.2019

(14) https://www.fr.de/rhein-main/drei-menschen-starben-keimen-hessen-13106663.html

(15) Francis Bacon, Essays VI, zitiert nach: Humberto Eco, Auf den Schultern von Riesen, Carl Hanser 2019, S. 232

(16) Diesen netten Vergleich verdanke ich dem Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo, gefunden in einem Kommentar zu den Skeptikern der Klimakrise.


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