„Alternative Fakten“ – eine neue Qualität der Desinformation?

Desinformation – Greenwashing, Alternative Fakten und Medienmanipulation Teil III

Vortrag, Klimastreik der Fridays4Future-Bewegung, Kassel 21.09.2019

Wer sich mit Umwelt- und Klimaschutz beschäftigt, muss sich mit wohlorganiserten Desinformationskampagnen auseinandersetzen. Die gute Nachricht: man kann deren Schwachstellen entdecken. Und: wer sich erwischen lässt, der ist insgesamt als unglaubwürdig einzustufen…

Der Begriff „alternative Fakten“ wurde 2004 von Buzzfeed-Mitarbeitern geprägt, als sie entdeckten, dass massenhaft geradezu abstruse Falschinformationen und verfälschte Bilder über das Internet verbreitet wurden. Sie kamen alle aus einem Dorf auf dem Balkan und wurden von einer Gruppe Jugendlicher verfasst.

Sozusagen auf „höchster Ebene“ angekommen war der Begriff, als die Pressesprecherin des amerikanischen Präsidenten Trump 2017 eine offenkundige Falschinformation (über die Frage, wer mehr Zuschauer bei seiner Amtseinführung hatte, Trump oder Obama) als „alternatives Faktum“ edelte. Die Psychologin Marina Weisband beschreibt und analysiert den Vorgang so (1):

„„Die besondere Qualität der Lüge à la Trump besteht darin, dass sie ohne jede Vorbildung, nur mit der Kraft der eigenen Wahrnehmung, von jedem durchschaut werden kann. Es ist gewissermaßen ihr Zweck, der Wahrnehmung zu widersprechen.

Der Mensch neigt dazu, neue Informationen mit dem eigenen Wissen abzugleichen. Stimmen sie mit dem überein, was man bereits weiß, bestärken sie das eine Wissen. Widersprechen sie sich, entsteht kognitive Dissonanz. Das ist ein unangenehmer Zustand, den Menschen zu vermeiden versuchen, indem sie ihr eigenes Wissen den neuen Fakten anpassen. So lernen wir. Widersprüchliche Informationen sind deshalb so unbeliebt, weil sie kognitive Dissonanz erzeugen – die auszuhalten Ressourcen kostet. Das ist besonders zum Problem geworden, seit Informationen im Internet gesammelt werden können. Im Netz kann jedes Foto verfälscht sein, kann völlig aus dem Zusammenhnag gerissen worden sein. Die Verwirrung und Belastung durch die Vielfalt der widersprüchlichen Information in den sozialen Medien ist ohnehin gewaltig. Nun kommt der Kniff der Lügner hinzu, dieses Potential bewusst zu instrumantalisieren.

Und es funktioniert. Als ich kürzlich diesen Mechanismus auf Twitter beschrieb, wandten einige Nutzer ein, dass der Pressesprecher nicht gelogen habe und unterlegten das mit Fotos der Zuschauermenge aus der Perspektive des Podiums. Eine wilde Diskussion entbrannte über die Zahl der Zuschauer und über Kameraperspektiven – obwohl es eine Tatsache ist, dass weniger Menschen da waren als bei der Amtseinführung Barack Obamas 2009.“ (…) Zweitens vertrauen wir unseren Sinnen weniger als zuvor. Wir streiten über Dinge, die eigentlich offensichtlich sind. Falsches schleicht sich zunächst in den Bereich des Denkbaren und dann in den Bereich des Faktischen. Ist dieser Mechanismus erst einmal etabliert, fällt es leicht, auch bei größeren Themen zu lügen. Zum Beispiel: „Alle Muslime sind kriminell“ – und plötzlich fangen wir an, uns über Kriminalitätsstatistiken zu streiten, anstatt die Errungenschaft zu verteidigen, dass Verdacht aufgrund von Geburt oder Religion keinen Platz in einer Demokratie hat.“

Marina Weisband geht also davon aus, dass die Lüge unter diesen Umständen eine verhängnisvolle Wirkung entfaltet. Die Lüge lenkt ab von der wesentlichen Frage, ob nämlich die Aussage plausibel ist oder ob sie schon der einfachen Beobachtung widerspricht. Sie verführt dazu, sich auf die Lüge selbst einzulassen und eine Erklärung für derer Abstrusität zu suchen.

Wer so souverän mit der Lüge umgehen kann, für den wird sie zu einem Machtinstrument: man beobachtet kühl, wer ihr widerspricht:

Nun erscheint die Lüge über die Anzahl von Zuschauern bei der Amtseinführung als relative Kleinigkeit. Sie erreicht aber Großes. Erstens ist es eine Machtdemonstration: Man präsentiert den Medien neue „Fakten“ und schaut, wer sie brav nacherzählt; der Rest hat mit Repressionen zu rechnen.“

Der Kognitionspsychologe Prof. Stephen Lewandowsky bestätigt diese Auffassung (2):

Die Natur der Misinformation hat sich gewandelt. Gehen wir zurück ins Jahr 2003. Damals behauptete die US-Regierung unter George W. Bush und die Regierung Großbritanniens unter Toni Blair, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besäße, obwohl sie wussten, dass es solche Waffen nicht gab. Das war eine massive Täuschung, um die Bevölkerung auf den Krieg einzustimmen. Die ganze Aktion war sorgsam kuratiert und propagandistisch, der Aufwand immens. Sie traten förmlich mit den Inspektoren der Vereinten Nationen, die keine Waffen gefunden hatten, in einen Wettstreit um die Wahrheit. Dabei – und das ist entscheidend – bezogen sich Blair und Bush aber auf dieselbe Realität wie die Inspektoren.“

Heute scheint das bisweilen anders zu sein: Menschen, die Unsinn verbreiten, scheinen sich gar nicht mehr darum zu kümmern, ob es eine Realität gibt, die umstritten ist. Stimmen, denen zufolge niemand wisse, was wahr wäre, werden immer lauter. Alles liege im Auge des Betrachters, heißt es dann. Es gibt eine explizite Hingabe zur Subjektivität. Deshalb sprach die ehemalige Wahlkampfmanagerin Trumps, Kellyanne Conway, auch von „alternativen Fakten“.

Und:

Es geht nicht mehr darum, Menschen von etwas zu überzeugen. Es geht darum, Verwirrung und Chaos zu stiften. Das ist heute anders als früher. Russische Bots beispielsweise twittern in den USA auf beiden Seiten des Impfstreits, manche dafür, manche dagegen. Sie kommen aus der gleichen Trollfabrik in St. Petersburg. Das einzige Ziel ist es, Spaltungen in der Gesellschaft zu vertiefen. Und Donald Trump tut ehrlich gesagt das Gleiche: Er lügt über Dinge, über die er nicht lügen müsste, um politisch voranzukommen. Warum sollte er das tun? Es ist nicht zu seinem Vorteil, außer wenn es sein strategisches Ziel ist, das Konzept von Wahrheit zu untergraben. (…) Wir haben schon vor Jahren zeigen können, dass kleine Nester von Personen, die gezielt Zweifel an wissenschaftlichen Ergebnissen streuen, die Bildung eines wissenschaftlichen Konsenses und vor allem einer klaren öffentlichen Meinung zum Klimawandel ausbremsen kann (Cognition: Lewandowsky et al., 2019). Und viele der Menschen, die Zweifel streuten, hatten Verbindungen zu Thinktanks, die wiederum von Kraftstoffherstellern wie ExxonMobil finanziert werden (Climate Change Science: Farmer & Cook, 2012).

Anmerkungen

  1. Marina Weisband, „Alternative Fakten: Keine Macht der Lüge“, in: Die Zeit vom 28.01.2017
  2. Lewandowsky 2019, a.a.O.

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