Aus einer aktuellen Studie des Bundesamts für Naturschutz geht hervor, dass der Bund und die Länder umweltschädliche Maßnahmen jedes Jahr mit 22 Milliarden Euro subventionieren. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die EU-Kommission bereitet die „Festlegung innovationsfreundlicher Rechtsvorschriften“ vor, die das Ausbringen von potentiell umweltschädlichen Chemikalien erleichtern und den Schutz der Umwelt und der Menschen schwächen sollen. Bewirkt wurde dies durch ein Heer von Lobbyisten, die in den Parlamenten tätig sind.
von Walter Hölzel
„Die EU hat anders als Deutschland ein Lobbyregister. Eine Studie zeigt, wie groß der Einfluss von Konzernen in Europa ist – und welche Schlupflöcher sie nutzen können.“ schreibt Die Zeit. Und weiter: „Der Verein LobbyControl veröffentlicht alle zwei Jahre einen Bericht, der sich mit der Entwicklung des Lobbyismus in Deutschland beschäftigt. Der 44-seitige EU-Lobbyreport 2019 ist der erste, der sich ausschließlich auf Europa fokussiert. In keiner Stadt Europas gibt es so viele Lobbyisten wie in Brüssel. (…) Das Jahresbudget der Konzernvertreter beträgt rund 1,5 Milliarden Euro. Rund 70 Prozent der Treffen der EU-Kommission mit Lobbyisten waren mit Vertretern der Wirtschaft – Umweltverbände, Gewerkschaften und andere haben somit das Nachsehen. Und das, obwohl Juncker zu Beginn der Legislaturperiode ausdrücklich zur Ausgewogenheit gemahnt hat, auch mehr zivilgesellschaftliche Verbände zu treffen. (…) Die Unternehmen mit den höchsten Ausgaben für Lobbying sind unter anderem der Verband der Europäischen Chemischen Industrie mit 12 Millionen Euro, auf Platz zwei folgt die Unternehmensberatung FTI Consulting.“
Subventionierung der Umweltverschmutzer? Kennen wir schon lange
Die Interessen der deutschen Kali-Industrie sind bei dem Verband der Europäischen Chemischen Industrie offenbar gut aufgehoben – in den Landtagen, im Bundestag und im Europäischen Parlament. Die deutschen Behörden haben der K+S AG in den letzten Jahrzehnten Genehmigungen erteilt, deren Schäden sich auf einige hundert Milliarden Euro belaufen dürften. Sie mindern die Produktionskosten des Unternehmens signifikant, aber sie schädigen die Umwelt und verletzten die Interessen der Anrainer: Die Verpressung von Abwässern in den Untergrund hat flächendeckend Trinkwasservorkommen vernichtet. Das Versickern lassen von Haldenlaugen hat zur Versalzung des Grundwassers und zu dessen Belastung mit Schwermetallen geführt. Die in die Werra eingeleiteten Abwässer des Konzerns haben im salzbelasteten Teil des Flusses die Süßwasser-Lebensgemeinschaft vernichtet und in der Weser schwer geschädigt und sie machen die Trinkwassergewinnung aus dem Uferfiltrat unmöglich. Die Rückstandshalden für feste Salzabfälle schließlich sollen nicht zurück gebaut werden. Ihre Abwässer werden das Grundwasser und die Flüsse über viele Jahrhunderte weiter belasten und die dabei angerichteten Schäden sind dann nicht mehr zu beheben.
Diese Entsorgungspraxis und die dafür notwendigen Genehmigungen machen es unmöglich, europäische Vorschriften ziel- und fristgerecht umzusetzen. Sie sind in Teilen sogar rechtswidrig, weil sie das Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie verletzen. Trotzdem hat es die in der EU-Kommission zuständige Generaldirektion Umwelt (GD Umwelt) bislang nicht vermocht, dem europäischen Recht Respekt zu verschaffen.
Ganz anders im Mitgliedsstaat Spanien: die GD Umwelt hat erreicht, dass dem dortigen Kalihersteller Iberpotash die Salzaufhaldung untersagt und der Rückbau der Halden aufgegeben worden ist. Iberpotash musste deshalb Investitionen von 800 Mio. Euro auflegen. Und die GD Wettbewerb hat verlangt, dass Iberpotash Subventionen von 6 Mio. Euro zurückzahlen muss, die dem Unternehmen gewährt worden waren.
Dem deutschen Konkurrenten sind bislang solche Auflagen nicht gemacht worden, ganz in Gegenteil: die K+S darf weiter Rückstandssalze auf der Erdoberfläche ablagern und hat sogar die Genehmigung zur Haldenerweiterung bekommen. Wettbewerbsverzerrung und ein Fall für die Generaldirektion Wettbewerb? Bislang hat die Kommission deswegen kein Verfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet.
http://taz.de/Bundesamt-fuer-Naturschutz/!5585263/
Innovationsprinzip – money first, Bedenken keine
Aber wenn man das Recht nicht durchsetzen kann oder will, dann kann man es doch so weit ändern, dass die Chemische Industrie zufrieden ist. Die TAZ berichtet am 17.04.2019:
„Am Mittwoch stimmt das Europäische Parlament über das Forschungsprogramm „Horizon Europe“ für die Jahre 2021 bis 2027 ab. Darin soll erstmals das Innovationsprinzip verankert werden. Dann soll die „Festlegung innovationsfreundlicher Rechtsvorschriften“ durch die EU-Kommission folgen. Der Bundestag hat bereits am vergangenen Freitag darüber diskutiert. Setzt sich das Prinzip durch, ändert sich der Umgang mit Risiken grundlegend, warnen die Grünen sowie ein Bündnis von rund 60 Umwelt-, Verbraucherverbänden und Organisationen wie Greenpeace und dem europäischen Gewerkschaftsverbund ETUC.
Bislang ist in der deutschen und europäischen Umwelt- und Gesundheitspolitik das „Vorsorgeprinzip“ verankert. Anders gesagt: die Vorsicht. Demnach müssen Firmen, die eine Chemikalie auf den Markt bringen wollen, nachweisen, dass es keine Schäden für Mensch und Umwelt gibt. Gibt es begründete Bedenken, können Behörden und Regierungen Auflagen machen – bis hin zum Verbot.
Die Erdüberhitzung aufhalten, den Plastikmüll eindämmen, den Unkrautvernichter Glyphosat mit seiner mutmaßlichen Krebsgefahr stoppen – das klappt mit dem Vorsorgeprinzip bisher nicht. Aber es kann in den oft hitzigen Debatten um Genehmigungen zwischen Vertretern der Industrie, der Bauern, der Umwelt- und Verbraucherlobby entscheidend sein.“
„(…) Als die Bundesregierung dann 2016 Anbauverbote für Genpflanzen neu regeln wollte, tauchte das Innovationsprinzip plötzlich in einem Gesetzesentwurf dazu auf. Da zielte es auf eine leichtere Anerkennung von neueren umstrittenen gentechnischen Verfahren wie Crispr Cas ab. Damals scheiterte das Gesetz und das Wort kam somit nicht durch. Anders ist das im „Bundesbericht Forschung und Innovation 2018“. Dort findet es sich wieder und dazu heißt es: „Ein Ziel muss es sein, Regelungen zum Schutz des Menschen und der Umwelt so zu formulieren, dass diese Regelungen Innovationen nicht erschweren oder gar verhindern.“
Sollte der Text inklusive dem Wort Innovationsprinzip nach der Abstimmung an diesem Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg in den nächsten Monaten endgültig von den EU-Institutionen verabschiedet werden – die Industrie dürfte es freuen.“
Verstehe ich das richtig? Die Chemische Industrie bekommt ohnehin, was sie will, aber sie möchte sich auch noch die lästigen Debatten ersparen? Fragen Sie ihre Europaabgeordneten – Sie finden sie zur Zeit in Deutschland.
http://taz.de/EU-Debatte-um-das-Innovationsprinzip/!5585251/