Über den falschen Umgang mit Eisbergen
Wenn sich wesentliche Rahmenbedingungen ändern oder wenn die eigenen Anstrengungen immer wieder scheitern – vielleicht weil man die Rahmenbedingungen nicht verstanden hat – dann ist Anpassungsleistung erforderlich. Zu den beliebtesten Anpassungen zählt das Prinzip MehrDesSelben. Es ist nahezu unausrottbar.
von Walter Hölzel
Man kennt das doch. Der Ketchup will nicht aus der Flasche fließen? Kräftiger schütteln! Hilft nicht? MehrDesSelben! Das kann erfolgreich sein, man kann aber auch völlig neue und unerwartete Erfahrungen machen. Obwohl der Mensch grundsätzlich einsichts- und erkenntnisfähig ist, so scheint ihm doch die eine Einsicht weitgehend verschlossen zu sein: Das Prinzip Mehr DesSelben ist nicht universell erfolgversprechend. Man sollte eher frühzeitig als um ein Weniges zu spät eine andere Anpassungsstrategie wählen. Denn das Prinzip MehrDesSelben ist tückisch. Mit kleinen Anfangserfolgen macht es glauben, dass mit größeren Anstrengungen auch größere Erfolge zu erreichen wären. Der Mensch, der so gern erfolgreich ist und der dazu so ungern sein Gehirn anstrengt, macht immer wieder Die Eine Universelle Erfahrung, für die der Volksmund den Ausdruck gefunden hat: Nach fest kommt kaputt.
Ein Mensch, der mit dem Prinzip MehrDesSelben gescheitert ist, wirkt auf seine Mitmenschen im ersten Augenblick nicht besonders brilliant. Man fragt sich, wie ein so kluger Mensch so dumm sein konnte? Aber Vorsicht! Die Ursache war vielleicht nicht der Mangel an Geisteskräften, sondern nur der Unwille oder die Furcht, sich ihrer zu bedienen. Vielleicht war dies auch schon zu lange nicht mehr nötig. Auch übermäßige Arroganz ist eine hervorragende Voraussetzung, um den Verlockungen des Prinzips MehrDesSelben zu erliegen.
K+S auf Kollisionskurs
Als die Werra-Weser-Arnrainerkonferenz im März 2017 begann, sich mit dem merkwürdigen Entsorgungsverhalten der K+S AG zu beschäftigen, da hatte der Konzern gerade den Kurs zu seinem letzten Ankerplatz festgelegt. Mit anderen Worten: im Pilotprojekt Werra-Salzabwasser hatte das Unternehmen die Frage beantwortet, wie es mit seinen Abfällen bis zur Betriebseinstellung umgehen wollte. Und wie lauteten die Kommandos an den Rudergänger und die Chemiker in der Bilge? Sie haben es erraten: Weiter so und MehrDesSelben. Volle Kraft voraus! Wo große Schiffe fahren, da gibt es keine Eisberge.
Das wussten offenbar die Eisberge nicht, die schon bald und in großer Zahl den Kurs des Salzriesen kreuzen sollten: Werra-Weser-Anrainerkonferenz 2007, Kollaps der Entsorgung im Fuldarevier 2007, Klägergemeinschaft der Werra-Weser-Anrainer 2007, Trinkwasserversalzung in Gerstungen 2007, Abstoßfreie Kaliproduktion 2008, Abrutschen der Haldenabdeckung 2010 und 2017 in Bokeloh, Schwermetallbelastung des Grundwassers durch Haldenlaugen 2011, K-UTEC AG 2012, Vertragsverletzungsverfahren 2012, Regionaler Widerstand gegen die Oberweserpipeline 2013, Quicker-Gutachten 2013, Dreistufenplan der WWA 2014, Veröffentlichung des „Kalivertrages“ 2014, Expertise des Umweltbundesamts 2014, Anhörung in den Landtagen in Düsseldorf und Hannover 2014 und 2015, Scheitern des „360-Mio.-Euro-Maßnahmenpakets“ 2015, Razzia im Firmensitz und bei Vorständen 2015, Kollaps der Entsorgung im Werrarevier 2015-2016.
Noch finden sich Helfer
Aber noch finden sich genug Helfer, die dem Konzern die Hindernisse aus dem Weg räumen. „Wir haben beste Verbindungen zur Politik“, beruhigte der damalige CEO Norbert Steiner seine Aktionäre. Deshalb schien ein Einlenken wohl unnötig zu sein, als die K-UTEC AG 2014 nachweisen konnte, dass im Werrarevier eine abstoßfreie Kaliproduktion mit guten technischen und wirtschaftlichen Kennzahlen möglich ist. Weder das Unternehmen noch Arbeitsplätze würden in Gefahr geraten, im Gegenteil, es könnten ca. 300 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Europäische Richtlinien könnten eingehalten und rechtliche Probleme gelöst werden. Die Umsetzung des Standes der Technik würde das Unternehmen stärken.
Auch als das Umweltbundesamt wenige Monate später die K-UTEC-Expertise bestätigt, gibt es wieder keine Kursänderung. Stattdessen noch einmal ein trotziges Aufbäumen mit dem „Vierphasenplan“ der hessischen Umweltministerin Priska Hinz (B’90/Die Grünen). Er wurde auch als „Sechzigjahresplan“ verspottet, weil damit selbst in sechzig Jahren die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht zu erreichen sind. Er spiegelt stattdessen vor, dass Investitionen in wirksame Entsorgungstechniken vermieden werden könnten.
Spätestens mit dem Entsorgungskollaps 2015/2016 wurde dann deutlich, dass K+S sich mit seiner starren Verweigerungshaltung in eine nahezu ausweglose Situation gebracht hat. Um im gewählten Bilde zu bleiben: der Dampfer K+S hat sich aus den offenen Weltmeeren in einen immer enger werdenden Kanal manövriert, der jetzt nur noch die lichte Weite der Oberweserpipeline aufweist. Können eine Pipeline und die Verklappung der K+S-Abwässer in die Oberweser wirklich eine Kursänderung überflüssig machen?
Neue Eisberge in Sicht
Die Verklappung der K+S-Abwässer in die Oberweserpipeline würde nämlich voraussetzen, dass die EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht umgesetzt und dass dies von der EU-Kommision in Brüssel geduldet würde. Darauf darf K+S aber nicht hoffen, denn die die EU-Kommission achtet bei anderen Mitgliedsstaaten konsequent auf die Einhaltung der Verträge. Aktuell droht sie dem Königreich Spanien mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, weil dort der Rückbau der Salzhalden des Kaliherstellers Iberpotash nicht energisch genug durchgesetzt wird:
Auch auf der Weser schwimmen wieder Eisberge. Die Landkreise Hameln-Pyrmont, Höxter, Holzminden, Kassel, Nienburg und Schaumburg sowie die Städte Beverungen, Hameln und Höxter haben sich im „Hamelner Bündnis“ zusammengeschlossen und verstärken den Widerstand gegen die „Oberweserpipeline“:
https://www.hna.de/lokales/hofgeismar/oberweser-ort103169/weser-oekologisch-aufwerten-9561543.html