von Walter Hölzel
Die Bundeshauptstadt Berlin ist nicht in der Lage, einen Flughafen zu bauen. Die K+S-Hauptstadt Kassel hat zwar einen Flughafen, weiß allerdings nicht, wofür.
Die deutsche Autoindustrie nutzt ihre geballte Fachkompetenz nicht zur Verbesserung der Produkte, sondern um Kunden mittels Softwaremanipulation zu betrügen. Sie nutzt ihre ausgezeichneten Verbindungen zur Politik und zu Behörden, um immer neue Ausnahmeregelungen zu erwirken. Sie nimmt in kauf, dass die Bundesrepublik international eingegangene Verpflichtungen nicht erfüllen kann.
Die deutsche Kali-Industrie benutzt Aufbereitungstechnologien aus dem vergangenen Jahrhundert und versalzt deshalb mit ihren Abwässern nicht nur ein ganzes Flusssystem von Tiefenort in Thüringen bis Bremen, sondern auch das Grund- und Trinkwasser im Kalirevier. Sie will ungesicherte Bergwerke und Rückstandshalden als Altlasten hinterlassen. Sie betont ihre guten Verbindungen zur Politik und erhält tatsächlich immer neue Genehmigungen zur Versalzung der Umwelt. Sie verhindert damit, dass die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen gegenüber den EU-Mitgliedsstaaten erfüllen kann.
Eine Liste der Beispiele wäre lang.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt:
„Bundesregierung, Ministerien und Autokonzerne geben ein jämmerliches Bild ab. Wie die drei Affen, die nichts sehen, hören und sagen, lavieren sie um den Verdacht herum, dass sich die Autobauer über illegale Absprachen der organisierten Abgasmanipulation schuldig gemacht haben. Die Hersteller mauern, das Kanzleramt erinnert sich nicht, das Wirtschaftsministerium weiß nichts. Die Elite des Landes steht vor einem Scherbenhaufen, den sie aber offenbar noch nicht sehen will“
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/politik-und-dieselkrise-vom-ernst-der-lage-1.3602489
Dabei geht es dem Autor nicht in erster Linie um die vermutete Kollusion zwischen Autobauern und Regierung. Solcherlei könnte man wohl täglich beklagen und dies wahrscheinlich selbst im Wahlkampf vergeblich. Sie sorgt sich vielmehr um den Industriestandort Deutschland, der international an Vertrauen verliert:
„Der Standort Deutschland steht auf dem Spiel. Die sinkenden Werte der Konzerne an den Börsen zeigen, dass die Autobauer weltweit an Kredit und Ansehen verlieren. Will die Bundesregierung den Standort retten, muss sie ihre Beziehungen zur Autoindustrie komplett neu organisieren. Nicht übermorgen, sondern heute.“
Und weiter:
„Es muss Schluss sein mit dem blinden Vertrauen, mit dem noch jeder Regierungschef den Forderungen der Branche gefolgt ist. Sicher hat die Autoindustrie gute Argumente, um in politischen Chefetagen angehört zu werden: Sie sichert eine Million Arbeitsplätze, sie steuert ein Fünftel zum Export bei, sie ist (noch) das Aushängeschild für deutsche Produkte im Ausland. Aber gerade weil das alles wichtig ist für den Wohlstand in Deutschland, müssen die Verantwortlichen in Bund und Ländern endlich genau hinschauen. Sie müssen der Gier der Konzerne ein Ende setzen und die Interessen von Bürgern und Umwelt gleichwertig behandeln.“
„So bizarr es klingt – es waren genau diese Erfolge, die in die jetzige Krise geführt haben. Die Konzernbosse, geblendet durch Milliardengewinne und Millionengehälter, verschlossen die Augen vor der Realität.“
Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung schreckt in seiner Sorge auch vor drastischen Ratschlägen nicht zurück:
„Konsequenzen aber sind sofort zu ziehen. Dazu gehört, dass die Bundesregierung sicherstellt, dass die Autobauer die beim Kunden entstandenen Schäden sowie nötige Nachrüstungen aus eigener Tasche bezahlen müssen. Anders als bei der Bankenkrise muss das Verursacherprinzip gelten, dürfen weder Kunden noch Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. (…) Die Politik muss sich darauf beschränken, umwelt- und gesundheitsrelevante Vorgaben zu machen.“
Die Parallelen zur K+S AG sind nicht zu übersehen
Was auch immer der Kalikonzern haben wollte, so scheint es, das hat er auch bekommen: Genehmigungen zur Verklappung von Abfalllaugen in den Untergrund und in die Werra, Erlaubnisse zum Betrieb von Rückstandshalden und Giftmülldeponien. In der Folge ist Grund- und Trinkwasser versalzen sowie mit Schwermetallen belastet worden. In der Werra ist die Süßwasserlebensgemeinschaft vernichtet, die Weser ist ökologisch schwer belastet. Von Tiefenort bis Bremen kann kein Trinkwasser mehr aus dem Uferfiltrat der Flüsse gewonnen werden. Giftmülldeponien kokeln wochenlang vor sich hin.
Damit hätte eigentlich Schluss sein sollen, denn eine EU-Richtlinie verlangt, dass die Mitgliedsstaaten ihre Gewässer bis 2015 in einen „guten ökologischen und chemischen Zustand“ versetzen mussten. Das ist an Werra und Weser noch nicht einmal versucht worden und die zuständigen hessischen Genehmigungsbehörden haben dabei tatenlos zugesehen. Die EU-Kommission hat 2015 verlangt, dass K+S keine Ausnahmen erlaubt werden dürfen, weil die hierfür notwendigen Voraussetzungen nicht vorliegen. Auch das haben die Behörden missachtet.
Es wäre nicht einmal nötig, Ausnahmen von den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie in Anspruch zu nehmen, denn der Stand der Technik erlaubt auch mit den Rohsalzen des Werra-Fuldareviers eine abstoßfreie Kaliproduktion. Selbst Schwellenländer produzieren Kalidünger abstoßfrei. Die K+S AG hat sich aber strikt geweigert, in moderne Technologien zu investieren, auch nachdem das Umweltbundesamt die technische Machbarkeit und wirtschaftliche Zumutbarkeit dieser Verfahren bestätigt hat. Über Jahre hinweg hat das Unternehmen sogar bestritten, dass solche Verfahren existieren und damit die Frage aufgeworfen, ob der Chemiestandort Deutschland den Anschluss an die technische Entwicklung zu verlieren beginnt. Auch dies haben die hessischen Behörden gedeckt und von K+S keine Investitionen in wirkungsvolle Aufbereitungstechnik verlangt. Mit dem aktuellen Bewirtschaftungsplan für die Flussgebietseinheit Weser erlauben sie dem Unternehmen sogar, Werra und Weser auf unbegrenzte Zeit für die Verklappung von Salzabwässern zu nutzen und die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht anzustreben. Dazu war die Zustimmung von insgesamt fünf bündnisgrünen Umweltministern der Bundesländer Thüringen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen nötig und das Unternehmen hat sie bekommen.
Schon der Hinweis auf angeblich bedrohte Arbeitsplätze war der Hessischen Landesregierung Vorwand genug, auch die besonders umstrittene Verpressung von Abfalllaugen noch einmal zu genehmigen. Dabei hat sie die Arbeit von Fachbehörden behindert, deren entgegenstehenden Expertise unterdrückt und sogar gegenüber dem Landtag als Zustimmung „umgedeutet“. Der Erlaubnis fehlt die fachliche Begründung und ihre rechtliche Grundlage ist höchst umstritten.
Bedrohte Arbeitsplätze waren auch das Thema, als K+S im Jahre 2016 wegen eines kollabierenden Entsorgungskonzepts die Produktion mehrfach einstellen musste. Die IG BCE hatte damals eine Menschenkette im Kalirevier inszeniert. Alle Redner – Gewerkschafter, Regionalpolitiker und Firmenvertreter – haben gefordert, K+S die noch ausstehenden Erlaubnisse zu erteilen. In diesem „Krisenjahr“ hat K+S immer noch „eine halbe Milliarde Gewinn (EBITDA) gemacht“ – Grund genug für den neuen CEO Burkhard Lohr, die „Robustheit“ des Unternehmens zu preisen.
Den Anrainern wird der Rechtsschutz effektiv verweigert
Die Unterstützung der K+S-Entsorgungspraxis scheint dabei über Landes- und Bundespolitiker, Gewerkschaften, Minister und Ministerpräsidenten hinaus zu gehen. Die Kasseler Verwaltungsgerichte haben in keinem der zahlreichen, seit 2007 geführten Rechtsstreite inhaltlich über die K+S-Entsorgungspraktiken geurteilt. Seit 2012 sind noch drei Verfahren anhängig, ohne dass seitdem ein Fortschritt zu erkennen wäre. Schlimmer noch: die Gerichte haben den Zugang zum Europäischen Gerichtshof blockiert. Damit ist seit 2007 den geschädigten Anrainern der Rechtsschutz effektiv verweigert worden.
Auch die EU-Kommission scheint K+S schonen zu wollen
Im Falle des spanischen Kaliherstellers Iberpotash hat die EU-Kommission 2013 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen dessen Rückstandshalden eröffnet. Sickerwässer dieser Salzhalden versalzen den Rio Llobregat. Die Kommission war der Meinung, dass die Halden eine Gefahr für die Umwelt und die menschliche Gesundheit darstellen. 2014 hat die Kommission das Verfahren in die zweite Stufe überführt und mit einer Klage vor dem EuGH gedroht. Daraufhin haben die dortigen Behörden dem Unternehmen aufgegeben, die Salzhalden zurückzubauen und die Aufstandsflächen zu sanieren. Iberpotash wird insgesamt 800 Mio. Euro für Aufbereitungsanlagen und Infrastruktur investieren. Die erste Aufbereitungsanlage hat 2016 ihren Betrieb aufgenommen, 2019 soll die Salzaufhaldung ganz eingestellt werden.
In Deutschland scheint die Kommission weniger entschieden handeln zu wollen. Nach einer Beschwerde aus dem Jahre 2009 hat die Kommission 2012 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Nicht-Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie an Werra und Weser eröffnet. Das Verfahren ist immer noch nicht in die zweite Stufe überführt worden, obwohl die Bundesregierung die Mahnungen und Hinweise der Kommission nicht beachtet hat. Stattdessen haben die zuständigen Personen in Brüssel mehrfach gewechselt. Aktuell scheint die Rechtsdurchsetzungsstelle für deutsche Angelegenheit bei der Generaldirektion Umwelt überhaupt nicht besetzt zu sein.
Das Verhalten der EU-Kommission ist nicht allein ein weiteres Beispiel dafür, dass der Konzern K+S über erstaunlich viele Schutzengel zu verfügen scheint. Es birgt vielmehr eine Gefahr, die man nicht zu leicht nehmen darf. Wenn die Kommission den spanischen und den deutschen Kalihersteller unterschiedlich behandelt, wenn das kleine Unternehmen Iberpotash zu erheblichen Investitionen gezwungen wird, während der deutsche Konkurrent ungeschoren bleibt, dann wird sich die Wettbewerbskommission für diesen Fall interessieren müssen. Die Folgen für die K+S AG könnten gravierend sein, von den Rückwirkungen der benachteiligten Mitgliedsstaaten auf die Weiterentwicklung der Europäischen Union ganz zu schweigen.
Von der Kali-Industrie muss die Anpassung an das Recht gefordert werden
Darf ich noch einmal die Süddeutsche Zeitung (mit geringfügigen Anpassungen) zitieren?
„Die Konzernbosse, geblendet durch Milliardengewinne und Millionengehälter, verschlossen die Augen vor der Realität. Der Standort Deutschland steht auf dem Spiel. Der abgestürzte Wert des Konzerns an den Börsen nach dem gescheiterten Fusionsangebot zeigt, dass der Kalihersteller weltweit an Kredit und Ansehen verloren hat. Will die Bundesregierung den Standort retten, muss sie ihre Beziehungen zur Kali-Industrie komplett neu organisieren. Nicht übermorgen, sondern heute.
Es muss Schluss sein mit dem blinden Vertrauen, mit dem noch jede Landesregierung den Forderungen der Branche gefolgt ist. Sicher hat die Kali-Industrie gute Argumente, um in politischen Chefetagen angehört zu werden: Sie sichert einige tausend Arbeitsplätze. Aber gerade weil das alles wichtig ist für den Wohlstand in Deutschland, müssen die Verantwortlichen in Bund und Ländern endlich genau hinschauen. Sie müssen der Gier der Konzerne ein Ende setzen und die Interessen von Bürgern und Umwelt gleichwertig behandeln.
Dazu gehört, dass die Bundesregierung sicherstellt, dass die Kali-Industrie die bei den Anrainern entstandenen Schäden sowie nötige Investitionen in wirkungsvolle Aufbereitungstechnik aus eigener Tasche bezahlen muss. Anders als bei der Bankenkrise muss das Verursacherprinzip gelten, es dürfen weder Anrainer noch Steuerzahler zur Kasse gebeten werden.“